Die Kunst des Coverns
Dave Gahan ist das Gesicht von Depeche Mode. Die düsteren bis fröhlichen Songs auf seinem aktuellen Album „Imposter“ haben Bob Dylan, Neil Young oder PJ Harvey geschrieben. Gahan hat ihnen genau zugehört, sie akribisch studiert und ihnen mit Hilfe der Band Soulsavers und seiner markanten Stimme neues Leben eingehaucht. Olaf Neumann sprach mit dem 59-jährigen Sänger aus der englischen Grafschaft Essex.
Bist du Plattensammler?
Gahan: Ja, das bin ich. Ich höre mir heute wieder viel mehr Vinylplatten an als früher. Ich war nie ein großer Fan von CDs und finde das digitale Zeug recht nützlich, aber ich greife eigentlich lieber auf Alben zurück.
Willst du mit dem ironischen Albumtitel “Imposter” (Hochstapler) sagen, dass du die darauf enthaltenen Songs gern selber geschrieben hättest?
Das könnte man so sagen, ja. Der Titel ist aber nur ein wenig ironisch gemeint, weil es mir beim Singen dieser Lieder sehr gut ging. Ich fühlte mich dazugehörig und sehr frei mit meiner Stimme. Ich dachte, dass ich mir meinen Platz als Sänger irgendwie verdient habe. Als wir Ende 2019 begannen, diese spezielle Sammlung aufzunehmen, gab es eine viel größere Liste von Songs, die einen besonderen Eindruck auf uns machten.
Du coverst Klassiker wie “A Man Needs A Maid” von Neil Young, “Always on my mind” von Elvis Presley oder “Lilac Wine”, das u.a. von Nina Simone und Eartha Kitt gesungen wurde. Sind das Songs, die dich in deiner Jugend beeinflusst haben?
Nein, gar nicht so sehr. Ich habe das irgendwie übersprungen. Als ich sehr jung war, spielte mein Vater, ein Saxophonist, in einer Jazz-Band. Ich habe auch viel in der Kirche gesungen. Dann wurde ich Fan von David Bowie und T. Rex. Als schließlich Punk aufkam, stand ich auf The Clash, The Damned und Siouxsie & The Banshees. Das war eine ganz andere Zeit in meinem Leben. Soul, Blues und Gospel entdeckte ich für mich erst später.
Auf welche Weise?
Über die Stones und die Doors kam ich irgendwie zu Elmore James, John Lee Hooker, Muddy Waters, Howlin’ Wolf, Nina Simone und Billie Holiday. „The Dark End Of The Street” von James Carr ist einer meiner Lieblingssongs. Er eröffnet die Platte und sagt etwas aus über das, was noch kommt. Als Vinylliebhaber wissen Sie sicherlich, dass der letzte Song auf der ersten Seite genauso wichtig ist wie der erste. Ich schließe ein kleines Kapitel und beginne ein neues mit “Shut Me Down” und ende mit „Always On My Mind“. Die Abfolge ist mir sehr wichtig, weil sie eine Geschichte erzählt, in der ich mich wohl fühle. Sie ermöglichte es mir, diese Figur Imposter zu spielen.
Wenn du zum Beispiel PJ Harveys „Desperate Kingdom Of Love“ covern, deckst du dann nicht erkanntes Potenzial auf?
Diesen speziellen Titel haben wir definitiv an einen anderen Ort gebracht. Er passte sehr gut in die Atmosphäre von Soulsavers. Pollys Gesang beim Original ist sehr zurückhaltend, ruhig und sanft. Unsere Version hingegen klingt wie eine neunköpfige Bigband, die live auf einer Bühne spielt. So haben wir diesen großartigen Song gehört. Dass Polly auch eine Sängerin ist, hat einen tiefen Eindruck auf mich gemacht. Eines meiner Lieblingsalben ist ihr “To Bring You My Love”. Ich hole das Album immer wieder heraus und höre mir die Produktion und alles andere daran an.
Von Bob Dylan hast du dir „Not Dark Yet“ vorgenommen. Kommt man dem Menschen hinter dem Originalsong auf diese Weise näher?
Nun, das ist knifflig. Ich hoffe, dass die Art und Weise meines Vortrags das Gefühl und die Stimmung des Originals einfängt. Aber ich habe es auf meine Weise interpretiert. Ich identifiziere mich sehr mit dieser Platte. “Time Out Of Mind” ist eines dieser ganz speziellen Alben. Dylan hat im Lauf seines Lebens eine Menge Arbeit geleistet und ist immer noch auf der Suche nach Bestätigung, Erlösung und Vergebung. Auch mit einem Sinn für Sarkasmus. Das ist nicht nur in Bobs Worten zu hören, sondern auch in seiner Stimme. Ein Dylan-Song hat immer etwas von einer “Fuck you”-Attitüde. Er schert sich einen Dreck darum, was Leute über das, was er sagt, denken. Er wird es trotzdem sagen. Das ist Rock’n’Roll.
Dylan und Depeche Mode sind bei derselben Plattenfirma. Bist du ihm jemals persönlich begegnet?
Das bin ich nicht. Mein Freund Jerry war viele Jahre der Tourmanager von Bob. Er hat mir Geschichten über ihn erzählt und mag Bob sehr. Ich wollte durch ihn einen Kontakt zu Bob herstellen, denn ich wollte ihn wissen lassen, dass wir sein “Not Dark Yet” covern. Also fragte ich Jerry: „Gibt es eine Möglichkeit herauszufinden, ob Bob damit einverstanden ist?“ Die gab es tatsächlich, und über verschiedene andere Leute hat Bob sich unsere Version anscheinend gerne angehört.
Und wie hat Neil Young auf „A Man Needs A Maid“ reagiert?
Ähnliches habe ich auch aus dem Lager von Neil Young gehört, was ich sehr schön fand. Ein sehr erfolgreicher Mann namens Merck (Mercuriadis), der seit kurzem einen großen Teil der Songs von Neil Young und Bob Dylan verlegt, ist ein alter Freund meines Managers. Über ihn bekam ich Neils Zustimmung. Es war wie „wow!“ Mein Freund Mark Lanegan war einer der ersten Songschreiber, dem wir unsere Version vorspielten. Wir schickten ihm einen groben Live-Mix von „Strange Religion“, um seine Meinung zu erfahren. Er war davon zu Tränen gerührt und meinte, in unserer Version das zu hören, was er eigentlich versucht habe auszudrücken.
Was kannst du mir sonst noch über die Geheimnisse des Songwritings verraten?
Erst Jahre nachdem man etwas geschrieben und aufgeführt hat, erkennt man manchmal, dass es das ist, worüber man überhaupt nachgedacht hat. Das ist eine merkwürdige Sache. Schriftsteller und Musiker wissen: Der Moment, in dem sich etwas richtig anfühlt, ist ein sehr flüchtiger. Da läuft etwas ab zwischen dir und diesem anderen Musiker. Also versuchst du, es einzufangen. Du zapfst dabei etwas an, das über dich hinausgeht. Und wenn du es in diesem Moment nicht ergreifst, wird es jemand anderes tun. Keith Richards sagte einmal: „Eine Idee ist wie eine Radioantenne. Wenn die eine Frequenz aufnimmt und etwas empfängt, bekommst du es. Wenn du sie aber im Radio verpasst, wird Neil Young sie bekommen“. (lacht) Das leuchtet mir vollkommen ein.
Kulturkritiker meinen, dass es seit den 1980ern in der Popmusik nur noch abwärts ginge. Alles würde nur wiederholt, wieder erfunden, wieder verwendet, wieder verarbeitet werden und so weiter. Siehst du diese Entwicklung genauso pessimistisch?
Ich denke, das ist wahr. Wir huldigen verschiedenen Künstlern, die wir als Interpreten, Schriftsteller oder Musiker lieben. Das Wichtigste dabei ist, dass man den Mut hat, wirklich aus sich selbst heraus zu interpretieren und das auch zu glauben. Ab und zu hat man das Glück, dies zu schaffen. Um ehrlich zu sein macht das eine Menge Arbeit.
Was das Cover-Album auch eine gute Vorbereitung auf das Songschreiben fürs nächste Depeche Mode-Werk?
Das werden wir sehen. Ich habe das Gefühl, dass ich diese Dinge auch außerhalb von Depeche Mode tun kann. Das ist jetzt schon seit vielen Jahren so und wird von mir erwartet. Wenn ich zurückkomme, um mit Martin und Fletch zu arbeiten, gehen wir mit anderen Programmierern, Produzenten und Musikern ins Studio. Ich fühle mich dann mehr inspiriert. Wenn ich das nicht täte, würde ich es mir zu bequem machen. Ich bin schon sehr lange verheiratet. Nach 20 Jahren muss man sich schon anstrengen, um herauszufinden, wie man das aushält und das Gefühl hat, immer noch mit Leidenschaft dabei zu sein.