Warren Haynes
Seine unvorhersehbaren Songs mit beschwingten Riffs und schwermütigem Gesang haben Gov’t Mule den Ruf einer ikonischen Band beschert. Der 61-jährige Grammy-Preisträger war auch Mitglied der Allman Brothers und spielt bei The Dead mit, der Nachfolgeband der legendären Hippietruppe The Grateful Dead. Mit Olaf Neumann sprach Warren Haynes über das erste reine Bluesalbum seiner Stammband Gov’t Mule.
Du arbeitest auf „Heavy Load Blues“ größtenteils mit Werkzeugen, die älter sind als du selbst. Klingen die wirkliche besser als moderne Teile?
Warren Haynes: Mit Hilfe von Vintage-Gitarren und kleinen Vintage-Verstärkern haben wir versucht, jedem Song einen eigenen Charakter zu verleihen. Bestimmte Kombinationen habe ich noch nie zuvor ausprobiert. Blues klingt mit solch einem Equipment authentischer und oftmals besser. Wir wollten einen Sound einfangen, der an die Klassiker des Genres erinnert. Es sollte nämlich kein Blues-Rock-Album werden, sondern ein pures Blues-Album. Auch wenn es Gov’t Mule sind, die da spielen, ist es viel traditioneller als alles, was wir je gemacht haben.
War Co-Produzent John Paterno (Robbie Williams, Eros Ramazotti) von Vorteil?
Wir wollten John dabei haben, weil er ein vollendeter Toningenieur ist. Er kann einfach jede Art von Musik aufnehmen. John übernahm im Lauf der Produktion immer mehr Aufgaben. Deshalb dachte ich, er sollte als Co-Produzent aufgeführt werden.
Hast du auch Gitarren aus der Howlin’-Wolf-Ära benutzt?
Yeah. Ich habe neun oder zehn Gitarren verwendet, einige davon stammen aus den 50er Jahren. Auf dem akustischen Stück „Black Horizon“ spiele ich eine National Steel Body Resonator Gitarre von 1939, die ich von Derek Trucks bekommen habe. Und bei „Heavy Load“ eine 1929er Gibson L-1, wie Robert Johnson sie hatte.
Beeinflusst das beim Spielen?
Der Klang des Instruments beeinflusst mit Sicherheit dein Spiel. Man muss auch ein bisschen mehr mit dem Instrument kämpfen; eine Vintage-Gitarre lässt sich nicht so leicht spielen wie eine neuere. Deshalb muss man sehr respektvoll sein und dem Instrument viel Liebe entgegenbringen.
Wie viele Gitarren besitzt du?
Vielleicht an die 300. Ich wünschte, ich könnte sie alle regelmäßig spielen, aber einige bleiben leider immer liegen.
Viele erfolgreiche Künstler sind Workaholics. Tun sie nichts, fühlen sie sich wertlos. Wie ist das?
Es ist eine wunderbare Sache, wenn man seinen Lebensunterhalt mit dem verdienen kann, was man liebt. Ich kann das bis heute nicht als selbstverständlich ansehen. In diesem Sinne bin ich ein Workaholic, denn meine Arbeit ist meine Liebe … Ich persönlich muss beim Kreativprozess in erster Linie glücklich sein. Wenn das nicht der Fall ist, kann ich nicht erwarten, dass der Hörer es ist. Ich habe auch erkannt, dass alle meine Einflüsse heute noch genauso wichtig sind, wie sie es immer waren.
Die größte Herausforderung?
Die größte Herausforderung für mich ist, neue Songs zu schreiben, die sich von meinen eigenen Liedern unterscheiden und trotzdem nach mir klingen. Ich mag es nicht, die Vergangenheit wiederzubeleben, ich bin schließlich nicht mehr derselbe wie vor zehn Jahren. Ich fühle mich am wohlsten, wenn ich etwas geschrieben habe, von dem ich das Gefühl habe, dass es etwas Neues in mir zum Ausdruck bringt … Dieses Blues-Gefühl ist in jedem vorhanden, weil es auf menschlichen Erfahrungen basiert. Blues-Musik ist eine wunderbare Möglichkeit, eine Last loszulassen. Anfangs hörte ich ausschließlich Sachen, die später herauskamen als der frühe Blues, aber als ich dann diese Musik intensiver studierte, bewegte ich mich rückwärts und lernte das ganze ältere Material kennen. Ich bin mein ganzes Leben lang so sehr vom Blues beeinflusst worden, dass er einfach zu einem Teil von mir geworden ist.
Wird Blues wieder populärer?
Es gibt immer wieder Künstler, die den Blues am Leben erhalten. Ich glaube aber nicht, dass er populärer geworden ist, zumindest nicht im Moment. Blues hat es nie in die Mainstream-Pop-Welt geschafft, und ich bin mir nicht sicher, ob das jemals der Fall sein wird. Aber wenn jemand ein ernsthafter Musikfan ist, kann er den Blues für sich entdecken und sehen, ob er eine Verbindung zu ihm herstellen kann. An dem Album „The London Howlin’ Wolf Sessions“ wirkten Charlie Watts, Steve Winwood, Bill Wyman und Eric Clapton mit. Auf diese Weise wollte man ein weißes Publikum in Howlin’ Wolfs Welt bringen oder umgekehrt. Auch Muddy Waters, Chuck Berry und Bo Diddley machten diese Art von Session-Alben.
Die Rolling Stones spielten viele Blues-Songs.
Richtig, und später nahmen sie Howlin’ Wolf als Anheizer mit auf Tour. Sie bestanden darauf, dass er auch in einer TV-Show auftrat, in der sie spielen sollten. Als die Stones das erste Mal nach Amerika kamen, waren sie überrascht, dass die weißen Musiker und deren Fans Blueser wie Howlin’ Wolf oder Muddy Waters kaum kannten. Daran wollten sie etwas ändern.
Siehst du die Stones auf ihrer laufenden US-Tour?
Ich hoffe, dass ich es irgendwie hinkriege. Ich habe sie im Lauf der Jahre etliche Male live erlebt und es immer genossen. Schwer zu sagen, ob es ihre letzte Tour sein wird. Sie sind als Band immer noch stark.
Spielen Gov’t Mule die neuen Songs bereits live?
Momentan stehen drei oder vier Blues-Songs auf unserer Setlist. Für die Halloweenshows in Atlanta haben wir uns vorgenommen, das „Heavy Load Blues“-Album sogar komplett zu spielen. Nächstes Jahr wollen wir auch wieder in Deutschland auftreten.
Gov’t Mule spielen auch auf der Outlaw Music Festival Tour von Willie Nelson. Wie fühlt es sich an, mit dem 88-jährigen Country-Rebellen auf einer Bühne?
Großartig. Willie Nelson ist ein amerikanisches Nationalheiligtum. Ich fühle mich geehrt, dass ich mit ihm spielen darf. Ich kenne Willie jetzt schon seit 40 Jahren. Mit seinen 88 Lenzen spielt er immer noch großartig, singt großartig und hat Spaß. Man kann nur staunen, wenn man ihm zusieht.
Wirkt Musik wie eine Verjüngungskur?
Ich denke, ja. Musik hilft Menschen, jung zu bleiben. Sie ist eines der wenigen ausschließlich positiven Dinge, unabhängig davon, welche Art von Musik man liebt. Was immer dich mit deiner Seele verbindet, ist das, was du liebst.
Die letzte Show im Madison Square Garden in New York vor dem Lockdown war, als du und andere Mitglieder der Allman Brothers am 10. März 2020 als The Brothers auftraten. Wird es weitere Gigs dieser Formation geben?
Nein, das glaube ich nicht. Es war eine einmalige Performance. Wir haben vier Stunden gespielt, es war eine fantastische, irgendwie surreale Nacht, die ich nie vergessen werde. Erstaunlich, dass wir überhaupt auftreten durften. Die ganze Zeit haben wir darauf gewartet, dass sie uns sagen, dass die Show vorzeitig abgebrochen werden muss. Tags drauf ist New York in den Lockdown gegangen.
Gibt´s noch Kontakt mit den Leuten von The Dead, vormals The Grateful Dead?
Natürlich. Die stehen in den Startlöchern …