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Wer will uns unser Trinkwasser rauben?

Wer will uns unser Trinkwasser rauben?

 

Spekulationsobjekt, Menschen­recht, Polit-Bombe

„Ware“ Wasser? Welt-Konzerne auf Raubzug?

 

Text: Noah Schwarz

 

Wer in einer regenreichen Hafenstadt wie Hamburg den Wasserhahn aufdreht, denkt dabei nicht unbedingt daran, dass ihm hier Gold durch die Finger rinnt: Längst ist ein weltweiter Kampf um die lebensnotwenige Flüssigkeit entbrannt. Welt-Konzerne machen sie zum milliardenschweren Spekula­tionsobjekt – gegen den Willen der Menschheit.

 

Peter Brabeck ist Verwaltungs­ratspräsident des Schweizer Multi-Konzerns Nestlé geworden. Und Peter Brabeck ist ein Wasser-Prediger. Beim World Economic Forum 2012 in Davos: „Öl haben wir noch für 120 Jahre, Erdgas für 240 Jahre und Kohle für 550 Jahre. Aber bereits heute wird mehr Wasser verbraucht als nachhaltig ist.“ Der Konzern, der neben Edel-Wassermarken wie „Perrier“ auch „San Pellegrino“, „Vittel“ oder bei uns weniger bekannte Marken wie „Ar­row­head“ und „Pure Li­fe“ vertreibt, ist größter Trinkwasser-Aufkäufer der Welt (neben Coca-Cola und Pepsi).

 

In der Schweizer Dokumentation „Bottled Life“ wird beleuchtet, wo und wie der Konzern überall auf der Welt Geschäfte mit Trinkwasser macht. Wie aus gewöhnlichem Trinkwasser feines (und teures) Tafelwasser wird, welche Folgen das Abpumpen des blauen Goldes hat. Da berichten Bewohner in Nigeria oder Pakistan von mittlerweile ausgetrockneten Brunnen, über Grundwasser, das nicht mehr sauber sei. Woanders werden riesige Gewinne erzielt, indem aus öffentlichen Quellen mit geringsten Kosten Wasser entnommen wird. Nestlé kaufte und übernahm im brasilianischen São Lourenço den Wasserpark  – ein gigantisches Reservoir. In der Folge kam es zu Protesten. Denn die Bewohner merkten zu langsam, dass sie außen vor blieben und stattdessen die Natur ausgeraubt und geschädigt wird. Nach jahrelangen Protesten und Rechtsstreits wurde 2006 die Einstellung der Produktion von Flaschenwasser erreicht. Doch in den Jahren verdiente Nestlé ein Vermögen und hinterließ keine heile Welt. Auch im US-Bundesstaat Colorado, im schönen Ort Salida, merkten viele Bewohner schnell, dass der Schweizer Konzern (Nestlé Suisse S.A., Postfach 2222, 1800 Vevey, Schweiz), der dort die besten Quellen der Gegend auspumpte, ganz gewiss kein Segen ist und wehrten sich gegen den Ausverkauf ihres Wassers. Niemand hatte hinreichend geprüft, welche Auswirkungen die massive Grundwasserentnahme für Mensch und Natur hat.

 

In vielen Entwicklungsländern ist die Wasserversorgung so schlecht, dass die Menschen auf Trinkwasser in Flaschen zurückgreifen müssen. Kritiker werfen deshalb etwa Nestlé vor, mit dem Wasser „Pure Life“ ein zynisches Produkt auf den Markt geworfen zu haben. Trinkwasser wird an einem Ende der Welt abgepumpt, verpackt, verschifft und woanders verscherbelt – mit hohen Gewinnen. Wasser, das aus einem Entwicklungsland abgeschöpft wird, um in einem anderen Entwicklung­sland verkauft zu werden. Abhängigkeiten werden geschaffen und ausgenutzt. In dem Film „Bottled Life“ stellt John O. Egbuta, Berater des Kinderhilfswerks Unicef in Lagos (Nigeria) unmissverständlich fest, dass das Wasser, was Nestlé gerne als gute Tat für die wasserarmen Regionen der Welt darstellt, eigentlich nur eines ist: ein Super-Geschäft. „Eine Flasche NestléPure Life’ ist teurer als das Tageseinkommen von vielen Nigerianern. Eine Flasche ‚Pure Life’ ist sogar teurer als ein Liter Benzin.Umar Hayat, ehemaliger Gemeinderat in Bhati Dilwan (Pakistan) berichtet im selben Film, was „Pure Life“ seiner Gegend gebracht hat: „Unserer Meinung nach nimmt Nestlé uns unser Wasser weg. Nestlé installierte in der Fabrik einen eigenen Tiefbrunnen. Jetzt ist unser Wasser sehr dreckig. Der Wasser­spiegel sank enorm tief. Früher lag er bei 100 Fuß, jetzt ist er auf 300 bis 400 Fuß tief gesunken. Wir sind in großer Sorge.“  

 

Maude Barlow, ehemalige Chef­beraterin für Wasserfragen der UNO, sagte deshalb auch über den Konzern: „Nestlé ist ein Wasserjäger, ein Raubtier auf der Suche nach dem letzten sauberen Wasser dieser Erde.

 

Und es wäre nicht richtig, Nestlé allein in die Verantwortung zu nehmen. Schon längst und teilweise auch schon länger als der Multi-Konzern mischen auch andere im Geschäft mit dem blauen Gold kräftig mit. Weltmarktführer Coca-Cola beispielsweise, dessen Mitbewerber Pepsi, französische Industrieriesen wie Veolia, Suez oder Saur, britische Wasermultis und auch Staaten, etwa die Golfstaaten. Unterstützung erhalten sie dabei auch von so mächtigen Organisationen wie der Weltbank.

 

Gekauft werden riesige Wasser­reservoirs. Quellen, die in staatlicher Hand waren, werden „privatisiert“. Kommunen werden mit viel Geld und anderen Mitteln davon überzeugt, wie vorteilhaft es sei, Wasserrechte abzutreten. Dafür gibt es eine eigene Logik – und für die steht noch einmal der Nestlé-Mann Brabeck, der in den letzten 25 Jahren eine treibende Kraft hinter den Wassergeschäften des Konzerns war. Auf dem World Economic Forum in Davos provozierte er 2012 mit der Aussage, dass Wasser kein Menschenrecht sei. Später sagte Nestlés Wasser-Mann in einem Interview großzügig, dass er jedem Mensch auf der Welt das Recht auf 5 Liter zum Trinken und 20 Liter für Mindesthygiene einräumt.

 

Gegen solche Meinungen gibt es Widerstand. Auch offiziell. Bereits im Juli 2010 erklärte  selbst die Vollversammlung der Vereinten Nationen mit großer Mehrheit sauberes Wasser zu einem Menschenrecht. Vor allem ärmere Länder unterstützten dies – zahl­reiche Industrienationen, darunter die USA, enthielten sich. In vielen Entwicklungsländern ist der Kampf ums Wasser längst entbrannt. Mit wachsender Bevölkerung steigt dort der Verbrauch, zunehmende Verschmutzung des Trinkwassers verschärft die Lage. Dagegen ist der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch von rund 200 Litern in Europa ein Luxus.

 

Das Thema Wasserprivatisierung ist keines, was man gedanklich bequem als Problem in andere Regionen dieser Welt verschiffen kann. Denn auch in Europa hat der Ausverkauf längst begonnen. Großbritanniens komplette Was­ser-Infrastruktur ist bereits total „privatisiert“, d.h. in Händen der Konzerne. Verschuldete Staaten wie Griechenland oder Portugal wurden von der Troika aus EU, IWF und EZB gezwungen, ihre Wasserversorgung zu priva­tisieren. Dort haben viele Menschen schon gespürt, was die Folge ist. In Großbritannien klagen Verbraucher über schlech­tere Qualität, in Portugal kletterten die Preise bereits zum Start um bis zu 400 Prozent. Gesundheitliche Fol­gen lassen sich nur erahnen. Denn viele private Firmen bevorzugen die Beigabe von Chlor und anderen Zusatzstoffen, um den Verfall der Rohrsysteme hinauszuzögern und die Kosten gering halten. In Deutschland sind mittlerweile bereits rund 40 Prozent der Wasserversorgung ganz oder teilweise in privater Hand.

 

Der Durst von Unternehmen auf unser Wasser ist groß. Die EU-Kommission hilft kräftig nach und treibt die Privatisierung weiter an. Angeblich für bessere Qualität und niedrigere Preise. Dies hat ja bereits beim Strom bestens funk­tioniert. Doch immer mehr Menschen wachen auf, wehren sich. Ein breites Bündnis macht gegen den Ausverkauf des kostbaren Guts mobil. So haben beispielsweise bislang fast 1,5 Millionen Menschen die Petition „Wasser ist ein Menschen­recht“ unterschrieben und wollen den eigenen Regierungen und damit der EU Druck machen.

 

Auch die Hamburger Wasser-Initiative „Viva con Agua“ zieht eindeutig Position. Sprecher Christian Wiebe: „Immer wieder versuchen multi­nationale Konzerne, die Wasser­versorgung in Entwicklungsländern an sich zu reißen. In den Ländern des Südens wird Wasserprivatisierung häufig auf radikale Weise durchgesetzt: Mit dem so genannten ‚Land Grabbing’. Private Investoren und Staaten wie China oder die Golfstaaten sichern sich Millionen von Hektar Ackerland in Entwick­lungsländern. Aber der wohl wichtigste Grund, sich diese Landrechte langfristig zu sichern, ist das Wasser. Nur bewässerbares Land ist für die industrielle Land­wirtschaft brauchbar. Ohne die mit dem Land verknüpften Wasser­rechte  sind Investitionen in Land uninteressant. Sehr häufig wird den Be­wohnern der Länder des Südens das Wasser sprich­wörtlich abge­graben. Durch dieses ‚Water Grabbing’ kommt es zu Menschen­rechtsverletzungen. Ganz konkret gibt es Fälle, in denen die ortsansässige Bevölkerung für den Anbau ihrer Nahrungsmittel neues Land suchen  muss, weil sie ihr Land nicht mehr ausreichend bewässern kann. Denn: Die neuen Landbesitzer „besitzen“ auch die Rechte über Flüsse, Bäche und das Grundwasser. Das Wasser­vorkommen wird häufig ohne Einschränkungen für land­wirt­schaftliche Großprojekte ver­wen­det. Das regelmäßige Abpum­pen von Wasser für die industrielle Landwirtschaft entzieht benach­barten Kleinbäuerinnen und Bauern ihre Grundlage zum Leben.

 

Auch in Europa stehen wir vor neuen Herausforderungen, so der „Viva con Agua“-Sprecher: „Die zunehmende Urbanisierung von Großstädten überfordert viele existierende Wasserversorgungen und wirft neue Fragen auf. Die Antwort der Politik in Zeiten von knappen Budgets der öffentlichen Hand ist dabei oftmals ähnlicher Natur: So treibt die EU-Kommission aktuell gezielt die europaweite Privatisierung der Wasserversorgung voran. Vergessen wird hierbei, dass Wasser ein nicht substituierbares Gut ist, welches niemals Spekulations- und Profitinteressen einzelner unterliegen darf. Wir fordern die Politik auf, diese Maxime zu berücksichtigen und Lösungen zum bestmöglichen Wohl aller Bürger zu finden.

 

Wie steht es um die Privatisierung von Hamburgs Wasserversorgung? Bei einer Sitzung der Bürgerschaft verkündete in diesem Frühjahr Umweltsenatorin Jutta Blankau (SPD): „Wasser ist ein Allge­meingut. Es muss jederzeit und für jeden in guter Qualität zugänglich sein.“ Zustimmung gab es dafür auch von der CDU, den Grünen und der Linkspartei. Nur die wirtschaftsorientierte FDP wider­setzte sich, bezeichnete die Kritik an den Privatisierungs-Plänen der EU als „Polemik pur“. FDP-Mann Thomas-Sönke Kluth ist sich sicher, dass es nicht um Zwangs­privatisierung gehe, sondern um „den Wettbewerb um das beste Angebot“.

 

Das kann man auch anders sehen. Denn das beste Wasser ist ja schon da. Die Frage ist nur, wem es gehören soll – und zu welchem Preis. Unternehmen, die Wasser kau­fen, orientieren sich nicht an Mei­nungen und Wünschen, son­dern vor allem an Aktienkursen und Gewinnmöglichkeiten. Und in der Logik der Märkte ist nach der Energieversorgung nun das Was­ser dran. Das kostbarste Gut der Er­de. Soviel wert, dass man bereit ist, dafür jeden Preis zu zahlen. Oder schon sehr bald jeden Preis zahlen muss.

 

Autor Christian Jentzsch, der weltweit für seinen kritischen Film über den Wasser-Riesen Nes­tlé recherchierte: „Die Zahl der Kritiker, die behaupten, Nestlé sei dabei ein Monopol zu errichten, steigt weltweit. Der ehemalige Konzernchef Helmut Maucher hat einmal gesagt, in Zeiten, in denen Wasser weltweit im­mer knapper würde, müsse Nestlé ‚die Hand auf die Quellen halten’“.

 

Der Kampf um Wasser ist im vollen Gang. Noch gibt es Möglichkeiten, etwas dagegen zu tun. Denn spätestens, wenn die Getränke im Supermarkt astronomisch teuer werden und der Wasserverbrauch in den eigenen vier Wänden für immer mehr Menschen eine Luxus-Angelegenheit wird, ist es zu spät. Auch in einer regenreichen Hafen­stadt wie Hamburg.

 

Weitere Informationen zum Thema im Internet:

 

Die Petition gegen die Privatisierung des Wassers (mit viel Hintergrund): http://right2water.eu/de

 

Der preisgekrönte Film über die Wasser-Geschäfte von Nestlé:

http://www.bottledlifefilm.com

 

Viva con Agua;

http://www.vivaconagua.org

 

Trinkwasser ist weitaus rarer und kostbarer, als man auf den ersten Blick glaubt. Über 70 Prozent der Erdoberfläche bestehen zwar aus Wasser. Doch im Vergleich zu den riesigen Mengen an ungenießbarem Salzwasser beträgt der Anteil des lebensnotwendigen Süßwassers nur 2,5 Prozent. Und selbst dieser Anteil ist nur beschränkt nutzbar, da das meiste Süßwasser in Gletschern oder im Eis verborgen bleibt. Unterm Strich bleiben 0,3 Prozent der gesamten Süßwasservorräte als Trinkwasser übrig. Gesammelt in Flüssen, Seen oder Talsperren. Rund 215 Kubikkilometer. Theoretisch kann damit die Weltbevölkerung ausreichend versorgt werden – doch die Welt ist unterteilt in Gebiete mit Wasserüberfluss, noch z.B.  Deutschland, und teilweise extrem wasserarme Gebiete, vor allem auf der Südhalbkugel…

 

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