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DER LETZTE AN DER BAR – Gedanken am Tresen des Lebens von Henning Wehland

#2 – Der alte Mann und das Leergut

… jeder kennt ihn, jeder hat ihn schon mal gesehen, ständig auf der Suche durch die Straßen ziehend. Die Last auf den Schultern macht Schmerzen in den Knien, so eben noch am Leben und von dem wird er noch ange­schrien …“ (aus dem Song „Der alte Mann und das Leergut“)

1989 bin ich mit einem meiner besten Freun­de nach Mainz gefahren, um einen gemeinsa­men Kumpel zu besuchen. Es war für mich selbstverständlich, dass wir unseren Besuch nicht ankündigten, in dem sicheren Wissen, dass sich unser Freund überschwänglich freu­en würde. Tat er aber nicht. Denn das Zim­mer, das er bewohnte, war Teil einer WG bei einer älteren, sehr konservativen Dame, die keinen Besuch über Nacht zuließ. In unserer Euphorie sprangen wir in die Nacht, bevor wir uns um einen Schlafplatz kümmerten. Mit knapp 18 Jahren und viel jugendlichem Leichtsinn verprassten wir unser gesamtes Budget. Die folgenden vier Nächte haben wir deshalb im Freien auf einer Parkbank ge­schlafen. Es war die Zeit, in der die Berliner Mauer fiel. Am ersten Morgen auf „unserer“ Parkbank wurde ich wach, weil uns Passan­ten fotografierten. Wahrscheinlich, weil sie glaubten, wir hätten „rübergemacht“.

Das waren Tage, die mich sehr geprägt ha­ben. Ich kann seitdem die Angst verstehen, was es bedeutet, ohne einen Cent in der Ta­sche, von der Gesellschaft meilenweit entfer­nt, und doch mitten drin. Natürlich hätten wir unsere Eltern anrufen und um Hilfe bitten können. Aber das taten wir nicht. Vielleicht aus falschem Stolz, aus Scham oder einfach nur, weil wir es auf unsere Art „schaffen“ wollten. So konnte ich die Not, keinen Platz zum Schlafen zu haben und die Scham davor, um Essen zu bitten, ansatzweise erahnen. Dieses Erlebnis hat mich gelehrt, nicht alles für selbstverständlich zu nehmen. Jahre spä­ter ging ich durch die Straßen meiner Stadt und sah einen alten Mann – sauber, kultiviert und mit einer Tasche unter dem Arm. Er sam­melte Leergut. Mir wurde wieder bewusst, dass es Menschen gibt, die im Müll nach einer Perspektive suchen. Dies ist Realität in Deutschland, einem der reichsten Länder der Erde. Ich war positiv überrascht, dass ein ein­faches „Guten Tag!“ von mir dem alten Mann ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Er fühlte sich wahrgenommen. Ich finde, jede Begeg­nung sollte mit einem Maximum an Respekt beginnen. Das fängt schon damit an, dass wir unsere Mitmenschen wahrnehmen …

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