#26 – DUBUBIDU
„… ja, okay, zu spät ist es nie, für eine gute Unterhaltung morgens um sieben, alles gesagt und nichts getan, ich muss los, denn: Auch Rockstars haben Mamas …“ („DUBUBIDU“; aus dem neuen Album „Gesetz der Toleranz“ von Henning Wehland)
Es muss irgendwann Ende der 90er Jahre gewesen sein. Wir spielten auf einer längeren Tour auch in Moskau. Ein unvergessliches Erlebnis.
Schon am Tag vor der Show wurden wir mit schwarzen Limousinen am Hotel abgeholt und in den angesagtesten Rockschuppen der Stadt chauffiert.
Das war auch für mich das erste Mal, dass ich Zutritt zu dem VIP Raum eines VIP Raums bekam.
Dort wurde uns ein Menü aufgetischt, das „Tischlein Deckdich“ Konkurrenz machen könnte und die Wassergläser füllten sich wie von Geisterhand immer wieder mit Wodka. (kleiner Tipp vom Insider: wenn Du genug getrunken hast, einfach das volle Glas stehen lassen. Leere Gläser werden immer wieder aufgefüllt.)
Und als ich nach dem Hauptgang ausreichend satt war, musste ich feststellen, dass das erst das Ende vom Gruß aus der Küche sein sollte.
Die Euphorie dieser Erlebnisse investierten wir sinnvoll in die Show am nächsten Abend. Die Energie des Publikums war krass. Sehr hart und explosiv. Das färbte auch auf die Bühne ab und war einer dieser Rockstarmomente in meinem Leben.
Als wenn das nicht schon genug an neuen Eindrücken gewesen wäre, erwartete uns ein junger Mann in Lederkluft und beeindruckendem Motorrad vor unserem Bus am Backstageausgang.
Ehrlich gesagt waren wir alle ziemlich erschöpft und hatten noch eine lange Fahrt nach Österreich vor uns.
Aber der Kollege ließ sich nicht abwimmeln. Sein Chef sei ein Riesenfan und habe gesagt, dass er ohne uns erst gar nicht mehr zurückkommen bräuchte und ob uns denn der gestrige Abend gefallen hätte.
Wir zählten eins und eins zusammen und folgten dem Motorrad bis zum gefühlten „Ende der Welt“.
Richtig wohl war uns nicht als der Bus vor einem großen Eisentor zum Stehen kam. Sesam öffnete sich und dahinter kam eine Fantasiewelt zum Vorschein, die wie eine Mischung aus Waterworld und MadMax aussah. Dazu Motorräder, soweit das Auge reichte. Eins bunter und abgefahrener aufgemotzt als das andere.
Es gab verschiedene Bars und Clubs und natürlich die Mitglieder eines Rockervereins samt Anhang.
Aus den Boxen klang „REGGEA Musik“ – unfassbar und auch ansonsten war die Stimmung sehr entspannt.
Natürlich trafen wir auch den „Chef“. Ich bin mir sicher, wenn man im Duden unter „Mann“ nachschlagen würde, wäre er dort abgebildet.
Ich habe mich sehr lange mit ihm unterhalten und bei einigen Geschichten habe ich sicherheitshalber nicht weiter nachgehakt.
Am meisten hat mich aber folgende Aussage beeindruckt. Jede wichtige Entscheidung berate er mit seiner streng katholischen Mutter. Sie sei auch die Einzige, die ihn immer noch ordentlich ins Gebet nehmen könne und dürfe.
Offenbar hatte dieser Mann noch – zumindest eine – moralische Instanz.
Ich glaube, dass wir alle eine solche moralische Instanz in uns haben. Oft ist das die Mutter.
Sie kümmert sich, pflegt, lobt, liebt und rügt und sie ist immer da, wenn „man“ sie braucht. Klar gibt es auch Ausnahmen, oder die Mutter lebt nicht mehr, wie in meinem Fall, aber diese Instanz ist immer auf Sendung mit unserem Gewissen.
Ich persönlich verdränge das oft, oder glaube es zu vergessen. Dann begehe ich auch schon mal Dummheiten oder gehe der Doppelmoral auf den Leim. Aber sie ist immer da. Ich empfinde das gar nicht als Bedrohung oder als lästig, weil es mir als moralischer Kompass dient. Auch das ist das Gesetz der Toleranz.
„…Mamas müssen Hasen lieben, so langgezogene Ohren können nicht lügen, ob Biggie, Flake, Helden und Diebe, jeder Mann kennt seine Herkunft und Wiege…“
(„DUBUBIDU“; aus dem neuen Album „Gesetz der Toleranz“ von Henning Wehland)
(Foto Beitragsbild: Ricarda Spiegel)