Der Pastor von St. Pauli Hilflose Regierende, Helfende Bürger
Der Pastor von St. Pauli
Rund 300 afrikanische Menschen zeigen seit Anfang Juni, wie weltoffen Hamburg tatsächlich ist. Und immer mehr Hamburger helfen, nicht einfach wie die SPD abzuschieben und das Tor zur Welt zu vernageln.
Zentrum des Protests ist der Ort, der auf dem Kiez definitiv der friedlichste ist – die St. Pauli Kirche. Ein Idyll zwischen Hafenstraße, Golden Pudel Club und Pinnasberg.
Und in diesen Wochen ein Ruheplatz: Rund 80 der etwa 300 Flüchtlinge übernachten hier im Inneren der Kirche, am Morgen gibt es Frühstück vom Altar und den Tag verbringen die Menschen in der Stadt oder im Garten hinter der Kirche.
„Das Haus Gottes ist voll. So voll, dass man es sich gar nicht vorstellen kann“, sagt Sieghard Wilm, einer der Pastoren der St. Pauli Kirche, einer, der nicht lange zögerte und den Flüchtlingen die Türen zur Kirche öffnete.
Wilm, der privat und beruflich Afrika gut kennt, nahm die Menschen auf, die Schutz und Ruhe an diesem Ort auf dem Kiez suchten.
„Es geht hier um humanitäre Hilfe“, sagt Wilm und beschreibt die ersten Tage:
„Das war ein völliges Chaos, Es musste schnell geholfen werden. Und es war großartig, wie viel spontane Hilfe uns erreichte. Menschen jeden Alters und jeder sozialen Herkunft brachten Spenden, lieferten Essen, waren einfach da.“
Und es werden immer mehr, die einfach etwas tun. Da liefern Sterneköche aus Eppendorf täglich Suppen an, Ärzte untersuchen kostenlos die Flüchtlinge, Kiezianer, die selbst nur wenig
haben, bringen Lebensmittel, manch einer fährt im Bentley vor, legt schweigend einen großen
Geldschein in die bereitstehende Spendenkasse, wünscht viel Erfolg und fährt wieder weiter.
Oder es ist eine alte Frau mit Gehhilfe die einem der ehrenamtlichen Helfer eine Spieluhr in die Hand drückt mit den Worten: „Damit die Menschen in der Kirche schöne Musik hören und friedlich
einschlafen können“. Tausende kleine und große Gesten einer Millionenstadt.
Woher kommen die afrikanischen Flüchtlinge, fragen ein paar Schüler, die vom nahen Skate-Platz den Weg in den Garten gefunden haben.
Nüchtern erzählt geht das schnell:
Sie heuerten als Arbeiter und Fachkräfte, meisten im Baugewerbe, vor Vielen Jahren in Libyen an. Viele von ihnen stammen aus Westafrika – aus Ghana, Nigeria, Mali, Togo.
Sie flohen vor den politischen Zuständen oder der wirtschafilichen Not.
Im freien Lybien von Gaddafi fanden sie Jobs, Hoffnung, eine Zukunft.
Für sich und ihre Familien in der Heimat.
2011 der libysche Nato-Krieg.
Wieder auf der Flucht. Mit Völlig überladenen Booten über das Mittelmeer in Richtung der kleinen italienischen Insel Lampedusa.
Viele von den ungezählt tausenden Flüchtlingen haben diesen kleinen Flecken EU im Meer nie erreicht, sondern sind verschwunden.
Verreckt. In stickigen Laderäumen.
Oder ertrunken beim Untergang der verrotteten Schlauch- und Fischerboote, auf die man sie in libyschen Häfen getrieben hat. Wie viele dieser Flüchtlinge starben, weiß kein Mensch.
Die Überlebenden wurden auf Flüchtlingslager in ganz Italien verteilt.
Mitten im Winter 2012 haben ihnen die italienischen Behörden pro Person zwischen 300 und 500 Euro in die Hand gedrückt, ein Touristen – Visum für den Schengen-Raum gegeben und weggeschickt. Vielen wurde gesagt:
„Geht nach Deutschland
Oder wohin ihr auch kommt.
Nur kommt nie wieder zurück nach Italien.
“ Etwa 300, vielleicht sind es auch mehr, landeten in Hamburg, übernachteten bei härtesten Minusgraden auf Parkbänken, unter Brücken, irgendwo, wo es ein bisschen auszuhalten war.
Stets auf der Flucht, in Angst vor Entdeckung, täglich Hunger und immer ohne Perspektive.
In einem fremden Land. Jeder schlug sich irgendwo durch in dieser Stadt.
Zähneputzen und Waschen an der Alster, schnell weiter, die wenigen Habseligkeiten in Plastiktüten oder Umhängetaschen, das Geld längst verbraucht.
Vor über einem Vierteljahr fielen bei Polizeikontrollen immer mehr von ihnen auf. Die Behörden bemerkten plötzlich, dass hunderte Flüchtlinge in der Stadt waren.
Viele junge unter ihnen, zwischen 18 und 25 Jahren, die ältesten um die 50, vielleicht 55. Jeder mit einer eigenen Geschichte.
So wie Andreas aus Ghana. Sein Englisch ist brillant, sein Blick wach und seine Aussagen sind ganz klar: „In meiner Heimat habe ich studiert.
Ich stamme aus einer angesehenen Familie, mein Vater war Chef eines Volkes. Er und meine Mutter wurden ermordet.
Ich floh und ging nach Libyen, wurde Facharbeiter auf einer der vielen Baustellen.
Dort lernte ich auch andere aus meiner Heimat kennen. Architekten, Ingenieure, Spezialisten oder Hilfsarbeiten die langfristige Verträge hatten und ein gutes Einkommen.
Dann kam der Krieg. Wir gerieten zwischen alle Fronten, erlebten Bombardements der Nato in Tripoli und Bengasi.
Irgendwann kamen Bewaffnete, verfrachteten uns zu einem Hafen und steckten uns auf einen Fischkutter. Rund 1250 Menschen.
Viel zu viele für dieses Boot. Als wir ablegten rief uns einer der Bewaffneten zu: ‚Entweder erreicht ihr Lampedusa oder fahrt zur Hölle’.
Das war schlimm. Viele von uns sind bereits im Krieg erschlagen, erschossen, gefoltert worden. Nur wegen der Hautfarbe.“
Andreas hatte Glück in dieser Hölle. Er überlebte.
Kam irgendwann in ein Flüchtlingslager bei Mailand. Bis dann die Behörden ankamen, ihm Geld und Visum in die Hand drückten und aufforderten, aus Italien zu verschwinden.
Auch andere in der Gruppe, die nun bei der St. Pauli Kirche leben, haben ähnliches erlebt. Einer von ihnen sagt: „Als ich mich weigerte zu gehen, drohten mir Polizisten Schläge an.
Einer lächelte und sagte: ‚Hau ab nach Deutschland. Dort ist man reich. Ihr seid hier unerwünscht.“
Über München quer durch Deutschland irgendwann in Hamburg. Vorläufiges Ende einer langen Flucht. Pastor Sieghard Wilm macht klar, worum es hier geht — humanitäre Hilfe.
Viele der Flüchtlinge sind völlig erschöpft, krank.
Und mit vielen schrecklichen Bildern im Kopf: „Diese Menschen brauchen jetzt vor allem Ruhe“, sagt Wilm, „mit einem gehetzten Menschen kann man gar nichts machen.“
Deshalb nahm er die Afrikaner auf.
Ruhe, Durchatmen, Bodenhaftung bekommen.
Mittlerweile haben sich die Flüchtlinge selbst organisiert.
Jeden Tag werden Kirche und der Garten aufgeräumt, es gibt Deutschunterricht, Informationsveranstaltungen, es wird gekocht.
„So sauber war dieser Ort noch nie“, sagt eine ältere Frau, die gerade aus dem Gottesdienst kommt. Einer der Flüchtlinge sagt:
„Wir wollen etwas tun. Nichtstun ist das Schlimmste. Und wir wollen das zurückgeben, was man uns hier gibt.“
Mittlerweile setzt sich ein breites Bündnis daür ein, dass die Flüchtlinge vorerst bleiben dürfen, dass jeder Fall geprüft wird – und nicht gesammelt die Abschiebung erfolgt, wie es dem Senat vorschwebt.
Parteien wie die Grünen oder Die Linke setzen sich ein, auch Mitglieder anderer Parteien, der FC St. Pauli, Kiez-Gastronomen, Promi-Köche, die Nordkirche, Musiker, Alte, Junge – immer mehr Hamburger.
Doch das Tor zur Welt hat auch ein anderes Gesicht. Vor allem nach falschen und angstschürenden Artikeln eines bestimmten Massenmedien-Konzerns gab es auch immer mehr anonyme Drohanrufe, es wurden bereits Rechtsextremisten im Umfeld der Kirche und sogar im Kirchraum entdeckt.
Dumpfe Fremdenfeindlichkeit. Dazu Sozialdemokraten im Rathaus, die auf harten Kurs gehen:
Innensenator Michael Neumann sagte: „Die Rechtslage ist eindeutig, und die Perspektive kann nur die Ausreise nach Italien sein.“
Bürgermeister Olaf Scholz kritisierte, dass die Regierungen in der EU sich in Flüchtlingsfragen aufeinander verlassen können müssen – ein Seitenhieb in Richtung Italien.
Doch auch Scholz bleibt stur, pocht auf die Abschiebung, die man im Rathaus eben vornehmer „Ausreise“ nennt. Das klingt nach schöner Bustour.
Doch es wäre ein Abschieben ins Ungewisse Denn Italien hat ja bereits klar signalisiert, dass man die Menschen aus Afrika dort erwartet.
Und übrigens die EU und Gerichte bescheinigen Italien, dass die Bedingungen in manchen Flüchtlingslagern teilweise menschenunwürdig sind.
Menschenwürde. Die fangt in Hamburg irgendwo auf St. Pauli an. In der Kirche von Pastor Sieghard Wilm.
In einem Garten. Hamburg hat viele gute Orte daür. Dass sehen die meisten Menschen genau so.
Denn mittlerweile haben auch andere Gemeinden Flüchtlinge aufgenommen. In christlichen oder muslimischen Gotteshäusern.
Hamburg ist halt eine Weltstadt. Mit Menschen, die das tun, was sie für richtig halten.
Die Petition gegen die Abschiebung der
Flüchtlinge im Internet:
Text: Noah Schwarz
Fotos: Noah Schwarz & Sieghard Wilm
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