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Nach dem Winternotprogramm: Wie geht’s weiter mit den Obdachlosen?

Die Gebäude in der Friesenstrasse 22 und am Schaarsteinweg schlossen ihre Türen und öff­nen Selbige erst wieder nächsten Winter. Ob­wohl es nachts noch recht kalt ist, wurde das städtische Winternotprogramm nicht verläng­ert. Alle mussten raus und Alternativen gibt es kaum.

 

PikAs keine Dauerlösung

Gerne wird geschrieben, dass viele Obdachlose aus dem Winternotprogramm ja im „PikAs“ unterkommen konnten. Dabei wird unter­schla­gen, dass die meisten Obdachlosen dort nach 14 Tagen wieder raus müssen, weil sie schlicht keinen Leistungsanspruch haben. Blei­ben darf nur, wer auch Sozialhilfe bekommt und die bekommen die Wenigsten – ins­besondere nicht zugereiste EU-Bürger, die aus welchen Grün­den auch immer hier anstranden und auf der Straße schlafen (müssen).

 

Interessant auch der Fall einer gewissen Tina R. (64), die – eigenen Angaben zu Folge – bis November letzten Jahres ein Zimmer in der Hinrichsenstrasse 4a bewohnte. Tina war dort längere Zeit untergebracht, bis der Winter kam und sie raus musste. „Ab ins Winternot­programm an die Friesenstrasse“ hieß es (erzählt sie mir), wo sie jeden Morgen, trotz Herzkrankheit, raus in die Kälte musste und erst am Abend wieder reindurfte. Aktuell ist Tina wieder zurück an der Hinrichsenstrasse. Diesen Wechsel muss man erstmal verstehen – warum und wieso sie in dem Zimmer nicht bleiben konnte. Warum sie in das für sie doch viel anstrengendere Programm an die Friesen­strasse wechseln musste, war das wirklich notwendig?

 

Nachnutzung unklar

Ich spreche mit Herrn Thiel von der BASFI (Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration) im Speziellen zuständig für „niedrigschwellige Hilfen für Obdachlose, Winternotprogramm“ und wollte wissen, wie das Gebäude an der Friesenstrasse 22 die übrigen Monate des Jahres denn genutzt werde und ob es denn leer stünde? Seine Antwort: Das stünde „noch nicht fest“ und werde „erst noch entschieden“. Maßgeblich für die Ent­scheidung ob und wer dort den Sommer über einzieht, sei die Anmeldung eines entsprech­enden Bedarfs seitens dem „Zentralen Ko­ordinierungsstab Flüchtlinge (ZKF)“ – weil das Gebäude vorher auch für Flüchtlinge genutzt wurde und falls die wieder Bedarf hätten, kämen die Flüchtlinge da wieder rein, sofern nicht andere Gruppen oder Träger entsprech­enden Bedarf für eine anderweitige Nutzung anmelden, der ggf. dringender wäre als die Flüchtlinge dort unterzubringen.

 

Hilferuf via Facebook

Indes – und während die Sozialbehörde noch prüft, ob ein erweiterter Bedarf zur Unter­bringung von obdachlosen Menschen über­haupt besteht, hagelt es reihenweise Hilferufe überall im Internet. Menschen die dringend eine Bleibe suchen und nichts finden.

 

Wie Marika M. zu Beispiel. Die 28-jährige Französin wendete sich in englischer Spra­che händeringend an unsere Gruppen­mitglieder in der Hoffnung, in Hamburg einen Unterschlupf zu finden. Sie sei krank und seit Wochen ohne Bleibe, wisse nicht mehr weiter. Wir hatten ihr notdürftig An­laufadressen zur Verfügung gestellt, viel mehr kann man nicht tun – die Plätze sind belegt, die Häuser überfüllt – in denen man wenigstens ein paar Tage bleiben kann.

 

So fragt man sich schon, wann die Politik denn endlich aufwacht und begreift, dass Obdachlosigkeit nicht nur ein Problem des Winters ist, sondern obdachlose Menschen auch ganzjährig und nach Ablauf des Win­ters irgendwo untergebracht sein müssen. Im Grunde gibt es nämlich sehr wohl einen Rechtsanspruch darauf. Denn: Die Unter­bring­ung obdachloser Menschen ist vom Wesen der Verfassung nicht an irgendeinen Leistungsanspruch gekoppelt. Die Unter­bringung erfolgt nach dem „Sicherungs – und Ordnungsgesetz“ – weiß auch auch PikAs-Mitarbeiter zu berichten und schaut man sich dieses Gesetz mal näher an, könnte das durchaus bedeuten, dass jeder hilfesuchende Mensch – gleich welcher Herkunft, perse das Recht auf Unterbringung hat. Und das auch egal, ob er nun einen Leistungsanspruch besitzt oder nicht. Solange die Obdachlos­igkeit besteht, sollte jeder das Recht haben, untergebracht zu werden. Das würde bedeuten, dass auch „Bolle“ Leistungs­anspruch hat. Weil jetzt, wo er 6 Monate bei uns im Wohn-Container in der Ansgar-Gemeinde gelebt hat und wir das auch be­zeugen können, müsste er auch einen Anspruch generiert haben.

 

Bolles Zukunft

Im Grunde stehen jetzt drei Optionen zur Wahl.

Option 1: Bolle zieht um, in das nahegelegene Altenheim – dort dürfte „Bolle“ für sechs Monate für schmales Geld leben, bis zum nächsten Winter, wenn wir wie­der einen Container aufstellen und „Bolle“ dann solange in diesem Modus halten, bis wir eine dauerhafte Lösung für ihn gefunden haben. Dauerhaft hieße, eine Zeit lang nachweislich helfen, damit er Zeugen für einen Leistungsanspruch hier in Deutschland generiert.

Option 2: Den Container einfach stehen lassen und das Winternotprogramm der Ans­gar-Gemeinde in ein ganzjähriges Kirchen-Katen-Programm umwandeln.

 

Ohnehin stellt sich die Frage, warum der Con­tainer – oder etwas Vergleichbares – an der Kirche nicht ganzjährig auch aufstellen? Eine Verlängerung würde ein Zeichen auch dahingehend setzen, dass Obdachlosigkeit nicht nur ein Thema für den Winter und an Weihnachten ist, sondern auch für den Sommer und wir uns nicht dazu durchringen konnten, „Bolle“ – den wir alle liebgewonnen haben – mit Ablauf des 30.04. wieder auf die Straße zu setzen. Wie die Kirche sich dazu positioniert, müssen wir erst noch abwarten.

 

Option 3: Irgendwer, der das hier liest, bietet Bolle eine Bleibe für die kommenden 6 Monate an. Und zwar für die Monate Mai bis No­vember diesen Jahres. Jemand, der gerne ein Held wäre, weil sie oder er etwas tut, was Andere sonst nur gegen „Bares“ tun.

Die Herausforderung liegt also darin, „Bol­le“ auf diesem Weg bis zum Leistungsanspruch zu begleiten, ihm eine Bleibe zu bieten – für den Sommer über – und wir dann erneut für den Winter. Wer „Bolle“ ein solches Angebot für den Som­mer unterbreiten möchte, kann sich gerne bei uns melden. Ein kleines Zimmer irgendwo in Deutschland (bevorzugt im Norden) würde genügen. Wir bringen ihn hin und holen ihn auch wieder ab – dann, wenn der Sommer vorbei ist.

 

Hamburger Kirchen machen mit

Während im letzten Jahr nicht eine einzige Kirche mitmachen wollte, machen in diesem Jahr gleich zwei Hamburger Kirchen mit und stellen Wohncontainer in Kooperation mit unserer Bürgerinitiative auf. Unter anderem die Ansgar-Gemeinde in Hamburg Langenhorn sowie eine weitere evangelische Kirchen­gemeinde in Hamburg Lokstedt (Petruskirche). So ein Container hat alles was man zum Leben braucht. Tisch, Stuhl, Spind, Bett, Heizung – sogar ein Kühlschrank plus Wasserkocher ist mit dabei und alles andere haben die fleißigen Helfer von der Gemeinde dann noch ran­geschafft. Danke an Sonja Peters, Kurt Graf und alle Helfer, die beim Einrichten des Con­tainers mitgeholfen haben.

Perspektiven entwickeln

Darüber hinaus arbeiten wir an Perspektiven für die Betroffenen. Viele der gerade älteren Langzeit-Obdachlosen glauben nicht mehr da­ran, dass eine Rückkehr in ein normales Leben für sie überhaupt noch gelingen kann. Deshalb ist ein schrittweises, niedrigschwelliges Heran­führen an neue Wohnmodelle notwendig. Un­sere Bürgerinitiative will die Obdachlosen ni­cht nur unterbringen, sondern auch begleiten – in ihrem Alltag und bei der Bewältigung ihrer Ziele.

 

Die Finanzierung erfolgt über Spenden.

Insgesamt vier Container haben wir in der Vergangenheit schon aufgestellt. Ziel ist es auch, niedrigschwelligen Zugang zu den Con­tainern zu ermöglichen. Das bedeutet, beding­ungs­lose Aufnahme von Bedürftigen – auch ohne Anbindung an das Sozialamt. Unsere Partner sind Hamburg Wasser sowie zwei evangelische Kirchen in Hamburg. Wer selbst auch so einen Wohncontainer für Obdachlose bei sich aufstellen möchte, kann sich gerne bei uns melden. Inzwischen haben wir beste Kon­takte zu Architekten und Bauämtern und stehen gerne auch für weitere Projekte beratend und operativ zur Seite.

Max Bryan & Luise Naujocks Schoolmann

Bürgerinitiative Hilfe für Hamburger Obdachlose

hamburger-obdachlose.de

 

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