Ende 2013 überlagerten sich drei Hamburger Großstadtkonflikte: der Kampf um die Rote Flora, jener um das Bleiberecht der Lampedusa-Flüchtlinge und der Protest gegen den Abriss der Esso-Hochhäuser. Die Situation eskalierte, als die Polizei den Demonstrationszug gewaltsam anhielt. Als Antwort auf den befürchteten Verlust von Autorität auf St. Pauli, richteten die Hamburger Beamten zusätzliche „Gefahrengebiete“ ein. Der Kiez erfand die Klobürste als „Zeichen des Zorns“ und rief zur Kissenschlacht auf der Reeperbahn; woraufhin die amerikanische Botschaft vor einem Besuch der Hansestadt warnte. Immer mittendrin befanden sich Regisseur Rasmus Gerlach (52) und seine Kamera. Was er nun als Dokumentarfilm unter dem Titel „Gefahrengebiete & andere Hamburgensien“ auf die große Leinwand kleiner Indie-Kinos bringt, darüber sprach der engagierte Kulturschaffende bei seinem Besuch in der OXMOX-Redaktion – im „Gefahrengebiet“ St. Georg …
Die „Gefahrengebiete“ St. Georg und St. Pauli bestehen bis heute und werden von der allgemeinen Presse nicht vergessen, sondern eigentlich hat diese sie nie endeckt – auch als es in Folge der großen Demonstration vom 21.12.2013 ein weltweites Medienecho gab. Es wurde außerdem bis heute nicht weiter darüber nachgedacht, was aus den beiden Hamburger „Gefahrengebieten“ wird. (Anm. Ein weiteres „Gefahrengebiet“ existiert übrigens auch jedes Jahr in Wacken zum Festival.) Eigentlich müssten diese längst abgeschafft sein, weil das Verfassungsgericht nach einer Klage geurteilt hat, dass sie unrechtens sind. Aber die Polizei hat daran festgehalten. Nachdem ich meinen Film im Januar uraufgeführt hatte, kam der interessante Umstand hinzu, dass Hamburgs Innensenator Michael Neumann zurückgetreten ist, mit der Begründung er habe „keine Lust mehr“ – das erscheint mir ein bisschen wenig. Spannend ist, dass der neue Innensenator Andy Grote quasi vorher als „Bürgermeister von St. Pauli“ fungierte. Ihn hat man natürlich geholt, weil er ein humaneres Gesicht hat (Anm. Neumann hat natürlich auch ein tolles Gesicht).
Ich hatte mit Michael Neumann bereits für meinen vorangegangenen Film „Lampedusa auf St. Pauli“ (2013) gesprochen. Damals ging es um die schwierige Frage – die leider immer noch ungelöst ist – warum der politische Flügel von Lampedusa in Hamburg nicht als Kriegsflüchtlinge anerkannt wird. Dieser Zustand ist inzwischen noch peinlicher, weil viele andere Flüchtlinge, die mit oft viel unklareren Geschichten zu uns kommen, erstmal alle bei uns aufgenommen werden. Während Lampedusa in Hamburg weiterhin im Zelt am Steindamm haust – was aus humanitärer Sicht eine Katastrophe ist! Die Grünen hatten übrigens im letzten Wahlkampf versprochen, dass dem politischen Arm von Lampedusa in Hamburg in der Weise geholfen wird, dass sie wie andere Kriegsflüchtlinge auch ihr bescheidenes Flüchtlingsrecht erhalten. Dieses Versprechen haben Die Grünen bisher leider gebrochen.
Zurück zu den Hamburger „Gefahrengebieten“, die juristisch zwar keine mehr sind, aber von der Polizei immer noch so behandelt werden. Einer der Auslöser war sicherlich die große Demonstrationen im Dezember 2013 – die in der Eskalation vor der Roten Flora gipfelte. Dort hat die Polizei den Demonstrationszug radikal und brutal angehalten. Es existieren Aufnahmen, die ich in meinem Film nicht verwendet habe, weil sie zu brutal sind. Unter den rund 500 Verletzten gab es Leute, die teilweise im Gesicht entstellt waren … Ein weiterer Anstoss für „Gefahrengebiete & andere Hamburgensien“ ist der Umstand, dass ich selbst in Altona-Altstadt wohne, in der Nähe der Wache Mörkenstraße – einer der dauerhaften polizeilichen Sonderrechtszonen. Ich wurde selbst schon mehrfach sehr scharf unter dem Deckmantel „verdachtsunabhängiger Kontrollen“ von der Polizei angehalten, was so gar nicht zum gemütlichen Altona passt.
Die im Film ebenfalls behandelte Esso-Häuser Thematik war dadurch so kompliziert, weil die Fragestellung warum/ob die Wände gezittert haben bis heute nicht geklärt werden konnte. Die Haarrisse im Keller der Esso-Häuser, die als Beweis dafür herangeführt wurden, warum die Gebäude abgerissen werden mussten, entpuppen sich bei näherem Betrachten als Haarspalterei. Was bei jedem anderen Altbau in so einem Fall gemacht wird, nämlich Gipsmarken zu setzen, um zu kontrollieren, ob die Risse im Gemäuer zunehmen, ist dort nie passiert. Das bedeutet kein Mensch kann sagen, ob diese Risse nicht schon seit Jahren da waren. Zum Beben der Esso-Häuser gibt es zwei Theorien: Die „Musik-Theorie“ und die, dass diese nicht stimmt! Die „Musik-Theorie“ besagt, dass die Clubs im Keller mit mehreren Konzerten gleichzeitig zu dem Problem führen können, dass sich Schallwellen überlagern und der sogenannte „Doppler-Effekt“ eintritt. Theoretisch ist es sogar noch möglich das Mysterium zu klären, weil man die Tiefgarage, in der sich die betreffenden Haarrisse befinden, nicht rausgerissen hat. Dies war wohl nicht so wichtig – in erster Linie mussten die Esso-Häuser weg, weil man das Grundstück neu bebauen wollte. In diesem Punkt finden „Gefahrengebiete“ und „Gentrifizierung“ auf eine spannende Weise zusammen …
Weitere Einblicke in den neuen, 74-minütigen Film von Rasmus Gerlach und seinem Team (Kamera Ben Tepfer und Paul Kulms, Schnitt Elisabeth Hirsch, Bildtechnik Martin Heckmann, Mischung Stephan Konken, Übersetzungen Irina Linke, Performer Therese Schneider und Justus Schwerdtfeger sowie Musik Hanne Darboven) gibt’s am 9.3. (20 Uhr) im Filmraum, am 12.3. (20 Uhr) in der Roten Flora und am 24.3. im Metropolis (21.15 Uhr).