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DER LETZTE AN DER BAR – Gedanken am Tresen des Lebens

von Henning Wehland

#9 – Geister

„… bist Du sie auch manchmal leid, wie sie jammern und dich quälen, darf ich Dir meine Geister vorstellen…?“ (aus dem Song „Geister“)

Ich muss etwa 14 Jahre alt gewesen sein. Meine beiden älteren Geschwister waren gerade aus­gezogen und ich hatte ein Zimmer im Keller bezogen. Ich war im Fußball- und Tischtennis­verein. Ich spielte Klavier und hatte meine erste eigene Band. Nur waren meine Eltern etwas pedantisch, wenn es um das Ausgehen am Wochenende ging. So musste ich also auch an einem Samstag im August 1984 schon um 21 Uhr zuhause sein. Es staute sich mit der Zeit eine Menge Energie in mir auf, die irgendwann mal rausmusste.

Irgendein Floh in meinem Ohr fixte mich des­halb an, mich den Gesetzen meiner Eltern zu wi­dersetzen.

Mein Kellerzimmer hatte den Vorteil, dass es auch ein Fenster hatte, aus dem ich geräuschlos abhauen konnte. Ich kam also, wie von meiner Mutter angeordnet um neun Uhr abends pünkt­lich nach Hause, begab mich in mein Zimmer und gab vor, noch das aktuelle Sportstudio im Fernsehen zu schauen. Gegen halb elf schlich ich mich dann durch das Kellerfenster davon und ging zurück zu der Party, die ich viel zu früh schon verlassen musste.

Ich hatte den Spaß meines Lebens. Meine Freu­nde waren begeistert, ob der Tatsache, dass ich ausnahmsweise länger „rausdurfte“ und meine Familienrebellion machte mich zu dem Ge­spräch des Abends.

Selig und glücklich machte ich mich morgens gegen ein Uhr auf den Nachhauseweg. Ich kroch durch mein Kellerfenster und wollte mich übermüde ins Bett legen.

Auf meinem Kissen fand ich dann einen Brief meiner Mutter vor: „Henning! Ich bin sehr enttäuscht von Dir! Darüber müssen wir noch reden!

An Schlaf war natürlich nicht mehr zu denken. Ich malte mir aus, was es wohl für ein Gewitter geben würde. Welche Vorwürfe ich mir anzu­hören hätte. Ich war hellwach.

Gegen neun am nächsten Morgen schlich ich mich nach oben zu meinen Eltern ins Wohn­zimmer. Es fiel kein Wort über das „Ver­brechen“ der vergangenen Nacht. Und immer, wenn meine Mutter das Wort erhob, dachte ich „okay jetzt kommt der dicke Hammer“ – aber nix kam! Wir haben nie wieder über diesen Abend geredet.

Erst fast 30 Jahre später, habe ich meine Mut­ter wieder darauf angesprochen. Weil mich mein schlechtes Gewissen irgendwie nicht mehr loslassen wollte, bis zu dem Tag, an dem ich sie endlich darauf ansprach. Seit einiger Zeit war sie darauf bedacht, ihre „Baustellen“ zu schließen. Und ich dachte, dass ihr Brief von damals noch eines Ge­sprächs bedurfte. Aber sie konnte sich nicht mehr daran erinnern. Das Problem war offenbar von mir hausgemacht. Es war MEI­NE Baustelle.

Das hat mich Jahrzehnte beschäftigt. Es hat mein Leben geprägt, weil ich Angst hatte, die Konfrontation meinerseits zu suchen. Ich bin froh, dass meine Mutter und ich das Thema so doch noch zu den „Akten“ legen konnten. Vor allem aber hat es mich gelehrt, dass ich meinen Geistern begegnen muss, um die Angst vor ihnen zu verlieren.

Es ist nur eine von vielen Geistergeschichten aus meinem Leben. Aber für mich eine sehr entscheidende.

In diesem Sinne Hose runter, Mund auf und Augen zu! Sonst werd´ ich die Geister nie los!

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