Hafen-Punks
Von der Hafenstraße bis heute:
An den Landungsbrücken tummelt sich ein buntes Völkchen Lebenskunstler Gestrandeter und Weltenbummler.
Zu einer echten Metropole gehören eben auch ein paar kultige Schmuddel-Ecken.
Wo wären wir, wenn der Kiez irgendwann so aussieht, wie die Beton-Wüste HafenCity?
Die Piraten-Flagge weht auf St. Pauli mit Grund – und nicht nur wegen unseres Fußball-Clubs:
Seit Beginn der Hausbesetzungen, vor allem zwischen 1984 und 1990, ist die Geschichte der Hafenstraße verbunden mit den Bedürfnissen ihrer Bewohner und den daraus resultierenden Konflikten mit staatlichen Organisationen.
„History repeats itself“ (z.dt. Geschichte wiederholt sich) heißt es fast 30 Jahre später im turbulenten Hafenviertel.
Ein neuer Sheriff ist in der Stadt: Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) hat sich in den Kopf gesetzt, den Bereich unter der Kersten-Miles-Brücke – zwischen Reeperbahn und Landungsbrücken – von den Obdachlosen zu säubern.
Anfang des Jahres ließ der Politiker („Ich bin nicht Bruce Willis!“) zunächst für 100.000€ Wackersteine aufschütten / die Brücken „restaurieren“.
Ungemütlich sollte es den Obdachlosen werden, die sich und ihr überschaubares Hab und Gut einfach um die Steine herum positionierten.
Prompt läutet der Sheriff die nächste Runde ein und sorgt Ende September mit einem nochmal 18.000 € teuren und 20 Meter langem Stahlzaun dafür‚ dass seine Steinkonstruktion nicht mehr von den Wohnungslosen belästigt wird.
Die Symbolkraft dieser drastischen Maßnahme hat der Bezirksamtsleiter offenbar unterschätzt.
Allerorts steht der „Schreiber-Zaun“ für soziale Ausgrenzung auf unterstem Niveau.
Dem SPDler wird vorgeworfen, mit „Härte und willkürlichen Verboten gegen die Freuden des Lebens, gesellschafllichen Zusammenhalt und Möglichkeiten einer sozialen Stadt“ vorzugehen.
„Unerträglich und zynisch“ findet das Hinz & Kuntz „Für 118. 000 € könnte man 12 Übernachtungsmöglichkeiten in Containern schaffen!“
Während die Obdachlosen in den benachbarten Elbpark flüchten, und als Zeichen des stummen Protests zwei lebensgroße Stoffpuppen hinter dem Zaun ihres ehemaligen Schlafplatzes positionieren, werden die Stimmen in der Bevölkerung laut.
Dabei hatte Schreiber behauptet, dass ihn Beschwerden der Bürger und sogar der Polizei zu diesem Schritt bewogen hätten.
Pikant In einem Interview äußerte der Politiker, die Polizei hätte ihn gebeten zu handeln, weil sie nicht mehr „Herr der Lage“ sei, was der Polizeisprecher Streiber mit „Das ist falsch!“ kommentiert.
Des Weiteren gibt es für den Bereich „keine erhebliche Beschwerdenlage“.
Findet auch Daniel Brücker, stellvertretender Hausleiter der angrenzenden Jugendherberge Auf dem Stintfang.
„Im Umfeld gibt es Probleme mit Kriminellen und Jugendlichen aus dem Viertel, aber nicht mit Obdachlosen.“
Die Gäste der Herberge haben sich außerdem nie über die Bewohner unter der Brücke beschwert.
Der Kiez hält zusammen:
Eine Welle der Solidarität schlägt den Brückenbewohnern entgegen.
Nach dem FC St. Pauli Spiel am 23. September ziehen ca. 1.250 Demonstranten (960 Ordnungshüter sollen im Einsatz gewesen sein) friedlich vom Millerntor Stadion in Richtung Landungsbrücken
Auch im Parlament kommt es zu einer Debatte mit Gelächter und wilden Zwischenrufen.
„Der Zaun muss weg!“, fordert Katharina Fegebank (GAL) und selbst die Konservativen haben plötzlich ihr Herz für die Obdachlosen entdeckt, die „absolut friedfertig“ sind, während Sheriff Schreiber sich „menschenunwurdig“ verhält.
„Der Zaun löst das Problem der Unterbringung nicht dauerhaft“, kontert Katharina Wolff (CDU), und Cansu Özdemir (Die Linke) fordert den Rücktritt des Politikers, der – fürsorglich wie er ist – noch schnell ein Info-Schild für die Obdachlosen hinter dem Zaun anbringen ließ.
Dabei äußert sich selbst die Obdachlosengemeinde nicht unkritisch über das Schlaflager unter der Brücke.
Durch den Zuzug von Entwurzelten aus dem Osteuropäischen Raum ist – alleine schon wegen des Platzmangels – und der Sprachbarriere der „störungsfreie familiäre
Schlafbetrieb von früher“ nicht mehr möglich.
Was nicht ausländerfeindlich gemeint ist.
Während ein weiterer umstrittener Vorstoß Schreibers bekannt wird (er will das Hausrecht eines Teils des Hauptbahnhofs der Bahn übertragen und so den nächsten „Schandfleck“ säubern), kreist am 30. September an den Landungsbrücken die Flex.
Da Schreibers Lösung „offenbar nicht so gut“ gewesen ist, wartet der 51-jährige jetzt auf „gute Vorschläge von anderen“.
Die haben ca. 1.000 Bürger, die sich am nächsten Tag zur geplanten Demo versammeln, die zu einem fröhlichen Triumphzug wird.
„Statt Zäune zu hauen, sollte man überlegen, wie man das Geld besser investieren kann, um Menschen zu helfen.“
Die Organisatoren aus den Reihen der Obdachlosen zeigen sich schwer gerührt und finden – thetorisch ungeschult, dafür umso sympathischer – am Mikrofon herzliche Dankesworte für alle
Anwesenden.
Ein Gutes hatte der „Schreiber-Zaun“:
Altpunk Uwe fand über die Berichterstattung in den Medien wieder Kontakt zu seiner Schwester, was ihn „sehr glücklich macht“.
Und so sehr sich die Jungs und Mädels freuen, dass „ihre Platte“ wieder frei bewohnbar ist, hört man doch bei einigen heraus, dass man sich auch über eine eigene Wohnung freuen würde – allerdings kaum den Glauben hat, dass es zu schaffen wäre…
OXMOX Hamburgs größte Baustellen
Auf den ersten Blick ist die HafenCity ein Milliarden-Moloch Von der Elbdisharmonie zum Marco Polo (Millionärs) Tower werden enorme Gebäude auf künstlichen Grünflächen aus dem Boden gestampft.
Das Prestige-Projekt entwickelt sich zum finanziellen Flop. Und bedeutet gleichzeitig die Zukunft für unsere Stadt. .. „Noch mehr Hamburg“, wollen die Planer den Bürgern zur Verfügung stellen.
„Ein Bezirk der kurzen Wege“ soll die HafenCity werden. Tatsächlich, nur 1,3 Kilometer beträgt die Strecke zwischen Hamburgs größter Baustelle und dem Rathaus.
Auf dem StadtRAD gibt es zwischen Baggern Baufahrzeugen und Betonwüsten schon jetzt einiges zu entdecken.
Angefangen mit dem „Herzstück“: zwischen Speicherstadt und Elbe entsteht das Überseequartier.
Der nördliche Teil ist bereits fertig.
Der Rest soll bis 2013/2014 folgen und Wohnraum für fast 1.000 Menschen bieten.
Womit wir beim ersten – nicht unbegründeten – Vorwurf wären, den sich die HafenCity gefallen lassen muss:
Penthouse- Wohnungen ab eine Million Euro und Mieten von bis zu 20‚- € pro Quadratmeter prägen des Bild des neuen In-Viertels.
Wenn man Oberbaudirektor Jörn Walter (54) glauben darf, soll es den begehrten Elbblick in Zukunft allerdings schon ab 5,80 € pro Quadratmeter geben!
Dieser stellte aktuell Planungen für 1.800 neue Wohnungen unter dem Titel „Baakenhafen-Quartier“ vor.
Ab 2013 soll zwischen den Elbbrücken und der HafenCity-Uni das größte Wohnquartier des Stadtteils entstehen.
Ein Drittel der Wohnungen soll öffentlich gefördert werden.
„Mir gefällt die Verbindung zwischen Speicherstadt und HafenCity. Architektonisch gibt es einiges zu entdecken!“ – Dominik G. (31) arbeitet in der HafenCity.
Knapp 124.000m2 Büro- und Gewerbeflächen, auf denen etwa 6.000 Arbeitsplätze entstehen können, bietet allein das Überseequartier.
Einige Firmen zieht es schon jetzt von der Innenstadt in die HafenCity.
Ein erfreulicher Aspekt, durch den Bürogebäude teilweise zu neuem Wohnraum mitten in der Stadt umgewandelt werden!
Der (umstrittene) Neubau der Hafencity Universität (HCU) im Elbtorquartier und die Katharinenschule am Sandtorpark bringen außer Arbeit auch Wissen in den Stadtteil.
Die Katharinenschule bietet eine Betreuung für ca. 450 Kinder und als Highlight einen bunten Pausenhof mitten auf dem Dach des Gebäudes!
Der Sandtorpark lädt schon jetzt zum Verweilen ein, und mit dem Lohsepark kommen weitere Vier Hektar Grünfläche dazu.
Auch der Traditionsschiffhafen bietet ein nettes Ambiente…
„Unabhängig von der Elbphilharmonie hat die HafenCity sicherlich viel Schönes für unsere Stadt zu bieten!“ – Dominique L. (30) sieht gern beim Wachsen zu.
Abwechslung zwischen den modernen Komplexen bietet auch das 1885/86 erbaute Alte Hafenamt, in das die Gastronomie Einzug halten soll.
Der Platz vor dem letzten Backsteingebäude des Gebiets (!) soll für wöchentliche Märkte genutzt werden.
Die erreicht man – hoffentlich – ab Herbst 2012 mit der vierten U-Bahn-Linie über die Haltestelle „Überseequartier“.
Die vorläufige Endstation der neuen U4 soll die HafenCity Universität werden.
Hochbahn-Chef Günter Elste (62) möchte die Strecke in Zukunft über die Elbe bis nach Harburg erweitern.
Die ursprünglichen Gesamtkosten von 298 Millionen wurden zwischenzeitlich auf 337 Millionen Euro aufgestockt. . .
Wenn der Rubel schon mal rollt‚ hat die Elbphilharmonie ihren großen Auftritt:
Seit der Vertragsunterzeichnung 2007 steigen die Summen scheinbar ungebremst Mit der ersten Planung ging man von Baukosten von rund 77 Millionen Euro aus, bei Baubeginn von 114 Millionen Euro und 2008 von 323 Millionen Euro.
Aktuell werden die Gesamtkosten auf satte 476 Millionen Euro veranschlagt!
Ein ebenso leidiges Thema ist die Fertigstellung des Gebäudes, die ursprünglich für 2010 geplant war.
2011 wurde die Eröffnung für 2013 angekündigt.
Mittlerweile muss sogar mit 2015 gerechnet werden.
Und wer putzt dann eigentlich die ganzen Fenster?!
„Mir gibt es hier zu wenige Bäume – alles wirkt so steril. Hoffentlich ändert sich das noch!“ – Nathalie R. (29) vermisst Kinder-Spielmöglichkeiten.
Die Elbphilharmonie wird an einem historischen Ort errichtet.
Bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg stand dort das Wahrzeichen des Hafens: der Kaispeicher mit der Zeitballuhr.
Die tickt international am Cruise Center, das mit seinen 1200 m2 bereits 2004 fertig gestellt wurde.
Hier checken die großen Ozean-Riesen ein und aus – und das nicht zu knapp!
Die Zahl der jährlich in Hamburg anlaufenden Kreuzfahrtschiffe steigt.
2010 waren es über 100 und für 2011 wird ein neuer Rekord erwartet.
Den hält auch das Unilever-Haus am Sandtorkai mit seinen rund 1.200 Mitarbeitern.
Das Gebäude ist weltweit das erste, in dem ausschließlich LED—Lichttechnik verwendet wird.
Viele der weiteren Bauten lassen sich zurzeit nur erahnen.
Fleißig wird etwa an den Water Front Towers gewerkelt.
Weitere Highlights sollen u.a. eine Elb-Badeanstalt, eine 30 Meter breite Promenade, drei neue Brücken und eine „Freizeitinsel“ werden.
„Die Hamburger sollten sich mit der HafenCity versöhnen – sie gibt sich Mühe, uns zu gefallen!“ – Stefan H. (28) angelt am Baakenhafen.
Der Bauplan für den neuen Stadtteil wird ständig überarbeitet – neue Hindernisse tauchen auf. Bis die HafenCity ein anerkanntes und vor allem beliebtes Viertel für die Hamburger ist, werden sicherlich noch einige Spielzeiten der Elbphilharmonie ins Land gehen…