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Interview: Nikki Sixx

Mötley Crüe gehören zu den erfolgreichsten Glam-Metal- Bands der Welt. Seit 1980 haben
die skandalumwitterten Kalifornier weltweit rund 100 Millionen Alben verkauft. Mötley Crüe-Gründer Frank Carlton Serafino Feranna Jr., 63, erzählt in seiner dritten Autobiografie „21“ auf tragikomische Weise von seiner Kindheit und Jugend in ärmlichen Verhältnissen und seinem Aufstieg zum globalen Rockstar Nikki Sixx. Die Fragen an den Musiker, Songschreiber, Autor, Fotografen und Modedesigner stellte Olaf Neumann.

Nikki Sixx, Sie sind als Frankie Feranna im Doppelwohnwagen Ihrer Großel- tern Nona und Tom aufgewachsen. War es eine gute Kindheit in Jerome/Idaho?

Dieses Buch hat mir dabei geholfen, mich an die guten Momente zu erinnern. Ich habe mit meiner Familie vor einiger Zeit Los Angeles verlassen, wo ich mit 17 in einem Greyhound- Bus hingekommen bin. Im Gepäck einen Bass und einen Traum, der tatsächlich wahr wurde. Meine Frau und ich haben nach einem besseren Ort für unsere Tochter gesucht, die jetzt zweieinhalb ist. Wyoming erinnert mich an meine Zeit im Wohnwagen. Ich angele heute wieder im Snake River, was ich damals so gern mit meinem Großvater getan habe. Das Buch ist ein Wegweiser, wie man Hindernisse überwindet und sich auf das konzentriert, was man im Leben erreichen will.

Könntest du noch immer einem Vogel den Kopf abhacken und dessen Innereien und Federn ausputzen?

In Idaho, was nicht sehr weit von hier ist, wird viel gejagt, in Wyoming hatte ich noch keine Gelegenheit dazu. Aber als Kind liebte ich es. Nach der Schule habe ich mir immer mein Gewehr oder meine Angel geschnappt. Ich las auch viele Abenteuerromane, die im Amerika des 18. Jahrhunderts spielen. Wir haben hier harte Traditionen. Gleichzeitig war ich sehr auf Musik fokussiert. Wenn Sie einmal wissen möchten, wie man einen Fasan ausnimmt, kommen Sie doch einfach rüber und wir gehen zusammen auf die Jagd! Zu meinem Freund, dem berühmten Rock-Fotografen Ross Halfin, sagte ich einmal: „Beweg deinen kleinen Arsch hierher und wir gehen angeln“. Aber können Sie sich vorstellen, einen Ross Halfin zum Angeln mitzunehmen? (Lacht)

Einer der Liebhaber deiner Mutter hat dich im Alter von sieben Jahren an Marihuana herangeführt. Mit 15 fingst du in Jerome/Idaho an, regelmäßig Gras zu rauchen. Wie ist diese Droge dir beim ersten Mal bekommen?

Ich erinnere, dass ich mich komisch und unwohl gefühlt habe, aber irgendwie habe ich mich als Kind immer so gefühlt. Wir lebten ein Jahr lang in Mexiko. Bernie, der Vater meiner Schwester, war Musiker und spielte bei Frank Sinatra. Es waren die sechziger Jahre. Das war damals einfach so. Aber ich war natürlich noch ein Kind. Dieses Ereignis hatte ich eigentlich vergessen, bis ich viele Jahre später noch einmal darüber nachdachte: War das der ausschlaggebende Punkt, der mich auf den Weg gebracht hat, oder ist es etwas, das einfach passiert ist? Ich weiß es nicht.

Warum hat deine Mutter, die im Lauf der Zeit viele verschiedene Freunde hatte, dir nie die Wahrheit gesagt?

Ich glaube, dass meine Mutter versucht hat, ihr Image und sich selbst zu schützen. Manchmal kümmerte meine Tante sich wochenlang um mich. Ich hingegen habe meine kleine Tochter die ganze Zeit auf dem Arm und erkunde mit ihr den Wald. Meine Mutter hat so etwas nicht mit mir gemacht, weil sie irgendwie wild war. Sie erzählte mir auch nicht die Wahrheit über meinen Vater. Das Beste, was sie hätte tun können, wäre, mich aufzuziehen, aber das wäre vielleicht das Schlimmste gewesen, was mir je hätte passieren können. Ich glaube nicht, dass sie überhaupt die Fähigkeit dazu hatte, besonders während meiner ersten 15 Lebensjahre. Gott weiß, was dann passiert wäre.

Hat das Schreiben dir dabei geholfen, ein Kindheitstrauma zu überwinden?

Es hat mir ermöglicht, loszulassen und meinen Vater auf andere Weise zu sehen. Meine große Tochter Frankie, die 21 Jahre alt ist, hat viele alte Fotos von mir wiedergefunden und ein Bild gemalt, das hier an der Wand hängt. Es zeigt meinen Vater im Jahr 1938, meine Mutter in den 1960ern und mich mit etwa sechs. Es ist das einzige Bild, das ich habe, auf dem wir wie eine Familie wirken. Meine Großeltern haben eine Rolle übernommen, die nicht die ihre war.

Als deine Mutter in Seattle lebte, begannst du mit dem Verkauf von Gras und Meskalin eine Karriere und arbeiteste parallel als Tellerwäscher in einem Restaurant. Hast du in den 1970er Jahren immer auf dem schmalen Grat zwischen legal und illegal balanciert?

Ich habe einfach nur versucht zu überleben. Ich tat alles, um Bass-Saiten oder einen Proberaum zu finanzieren. Man arbeitet härter als jeder andere, wenn man etwas unbedingt will. Es spielt keine Rolle, was das sein könnte, das ist einfach die Regel des Lebens. Habst du den fantastischen Michael- Jordan-Dokumentarfilm „Der letzte Tanz“ gesehen? Darin geht es um Arbeitsmoral. Wie Jordan sein Team, die Chicago Bulls, dazu inspiriert hat, NBA-Weltmeister zu werden. Das funktioniert immer. Leider habe ich hier und da ein paar illegale Dinge getan, aber verzweifelte Zeiten verlangen nach verzweifelten Maßnahmen.

Ladendiebstahl wurde für dich als Teenager zu einem Hobby. Warst du gut darin?

Ich war ziemlich gut darin. (lacht) Mötley Crüe waren gerade sechs Monate zusammen und lebten in Hollwood, als wir an Thanksgiving in einen Liquor Store namens Gil Turner’s am Sunset Strip gingen, der jetzt als Viper Room bekannt ist. Einer von uns lenkte den Kassierer ab und wir anderen steckten uns diese kleinen heißen Kuchen in die Jacken – und dann gingen wir zurück in unsere Wohnung und aßen zu Abend. Das Interessante daran ist, dass ich als Minderjähriger bei Gil Turner’s gearbeitet habe. Das war in den Siebzigern noch möglich.

Damals wurde dein Onkel Don Vizepräsident des Beatles-Labels Capitol Records. Was hast du von ihm gelernt?

Don war ein Familienmensch und holte mich zu sich nach Los Angeles. Er hatte eine Frau, zwei Kinder, zwei Garagen und einen Pool. Er besorgte mir sogar einen Job in einem Musikgeschäft. Er war nicht für mich verantwortlich, aber er muss etwas in mir gesehen haben. Don hat mir diese Chance gegeben und alles hat sich zu diesem Traum verdichtet. Plötzlich war ich in der Stadt der Engel und fing an, Bands zusammenzustellen. Die andere Sache ist, als mein Onkel London und Mötley Crüe nicht unter Vertrag nahm, hat er mir beigebracht, dass ich trotzdem weitermachen muss. Als Präsident einer Plattenfirma trug er Verantwortung. Don konnte seinen Neffen nicht unter Vertrag nehmen, weil er ein netter Kerl war. Er musste tun, was für das Label richtig war.

Hat dein Onkel seine Entscheidung gegen Mötley Crüe jemals bereut?

Er sagte zu mir, der größter Fehler in seiner Karriere sei gewesen, uns nicht unter Vertrag genommen zu haben. Aber eine Menge anderer Plattenfirmen wollten Mötley Crüe auch nicht haben. Und deshalb kam es zu unserem eigenen Label.

Mit 18 zogst du in ein verkommenes Haus am Sunset Strip, wo arme Musikerlebten. War das eine Zeit, in der du viel für Ihr späteres Leben gelernt hast?

Dort gab es einen Haufen Kids – mich eingeschlossen -, die einfach Musik liebten und in Bands spielten. Das war alles, was uns interessierte. Es gab Tage, an denen wir nichts gegessen haben. Wir mussten uns zwischen Gitarrensaiten und Hamburgern entscheiden. In solchen Momenten wird ein gewisser Widerstand aufgebaut. Es wäre so einfach gewesen, mit diesem Leben aufzuhören, aber ich wollte sehen, ob ich es schaffen kann, das zu überwinden. Ich habe damals herausgefunden, was ich wirklich will.

Mit Ihrer Band London, in der später auch Slash spielte, wurden Sie von Ihrem Manager um die Gage betrogen. Haben Sie viele schlechte Erfahrungen im Musikgeschäft gemacht?

Als Künstler bist du ein Stück rohes Fleisch, das im Vorhof hängt und von Wänden umgeben ist. Plattenfirmen müssen ihre Gebäude quer finanzieren, das ist Teil ihres Geschäftsmodells. Und als Künstler musst du sicherstellen, dass du verstehst, wie man einen Vertrag liest und was Veröffentlichungs- bzw. mechanische Rechte sind. Ich habe von einigen Leuten gelernt, was es bedeutet, wenn man dir Verträge aufschwatzen will, die eigentlich illegal sind. Aber das weiß man nicht, wenn man jung ist. Ich fand es wirklich göttlich, dass wir mit Mötley Crüe ein eigenes Label gegründet haben, anstatt uns an jemanden zu verkaufen, der nicht an uns glaubt. Vor einiger Zeit haben wir unsere Plattenfirma an BMG veräußert. Die Leute dort glauben wirklich an die Künstler. Die Jahre des Überlebenskampfes waren wichtig für uns.

In den frühen Tagen von Mötley Crüe haben Sie sich mit Feuerzeugbenzin eingerieben und Vince Neil hat Sie angezündet – keine Tricks. Waren Sie bereit, Ihr Leben für die Show aufs Spiel zu setzen?

Shows können verdammt gefährlich sein, deshalb sind wir ja Profis. Wir haben einen verrückten Schlagzeuger, der über das Publikum fliegt und einen Bassisten mit einem Flammenwerfer. Wir haben Shows gemacht, bei denen die ganze Bühne brannte. Wir wollen den Leuten das geben, was wir selbst sehen wollen.

Was du in deinem Buch über die Vorbereitungen für eine Mötley Crüe- Tournee schreibst, erinnert an Hochleistungssport. Macht das wirklich noch Spaß, wenn man über 60 ist?

Mein Fitnesstrainer taucht hier auf und ich denke: „Scheiße!“ Aber ich muss mich da durcharbeiten. Man kann nicht nur auf der Couch sitzen und mit Kopfhörern die Songs durchgehen.

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