Wir kommen wieder!
Der Classic Rock lebt. Glenn Hughes gehört seit 50 Jahren zu den ganz Großen einer bluesigen, gelegentlich souligen Variante des Hardrock. Er war Bassist von Deep Purple und Frontmann von Black Sabbath und Black Country Communion. Stevie Wonder bezeichnet ihn als seinen liebsten weißen Sänger. Heute ist der 71-jährige Brite das Gesicht der Supergruppe The Dead Daisies um Leadgitarrist Doug Aldrich (Whitesnake) und Schlagzeuger Brian Tichy (Ozzy Osbourne). Olaf Neumann sprach mit dem Bandkern über das neue Album „Radiance“ und das Ende der Live-Musik
Können Sie nur dann gute Songs schreiben, wenn Sie sich wohl fühlen?
Glenn Hughes: Ich finde, Doug und ich haben in der Zeit, in der sonst niemand etwas tat, einige erstaunliche Songs geschrieben. Das Thema dieses Albums ist die Überwindung einer dunklen Phase und das Eintreten in das reine weiße Licht mit Strahlkraft. Wie Sie sicherlich wissen, wurden einige großartige Songs in dunklen Zeiten geschrieben und einige Stücke auf unserem Album sind auch ziemlich dunkel. Ich spreche über die Überwindung von Angst und das Loslassen von Dingen, die man nicht mehr braucht.
Doug Aldrich: Manchmal braucht man schlechte Laune, um wirklich gute Songs zu schreiben! Es gibt da keine Regeln. Glenn ist von Natur aus ein positiver Typ, der will, dass jeder ins Licht kommt. Das ganze Album hat gute Botschaften.
Wie ist es, Songs mit einem Sänger wie Glenn Hughes im Hinterkopf zu schreiben?
Aldrich: Nun, es ist eine Ehre, denn Glenn ist ein musikalischer Schatz und ein fantastischer Songwriter und großartiger Musiker. Meine Aufgabe ist es, flexibel zu sein und ihm Ideen zu präsentieren, die er gerne hätte. Er braucht mich nicht, um das zu tun, aber wir sind eine Band, also versuchen wir, es miteinander zu tun. Ich könnte etwas mit ein paar Löffeln spielen und Glenn würde daraus einen Song machen.
Worauf kommt es Ihnen beim Songschreiben an?
Hughes: Auf Melodien. Wenn ich mir eine ausdenke, habe ich sofort ein Gefühl dafür, wie der Song heißen wird. Und wenn Doug etwas schreibt, kommt es so ziemlich sofort. Die ersten Sachen, die wir uns ausgedacht haben, behalten wir meist alle.
Aldrich: Mit dieser Band bin ich auf der Suche nach etwas einfacheren, interessanten Dingen. Als Glenn dazukam, brachte ich diese schweren Grooves in die Songs. Ich schreibe nicht unbedingt die ganze Zeit, ich lasse es einfach fließen. Die Dinge kommen aus mir heraus ohne viel nachzudenken.
Hören Sie sich Ihre Alben oft an, nachdem Sie sie aufgenommen haben?
Hughes: In den letzten 30 Jahren habe ich so viele Alben gemacht. Wenn ich eines fertiggestellt habe, höre ich es mir nicht mehr an, nur wenn es zufällig im Radio läuft. Ich mache einfach weiter.
Und warum?
Hughes: Weil ich dann vielleicht sage, ich hätte besser dies oder jenes machen sollen. Oder vielleicht hätte ich dies nicht tun sollen.
Wir leben in der Ära des Streaming. Warum machen Sie da noch physische Alben?
Aldrich: Für Leute wie Sie, die noch Platten sammeln.
Hughes: Die Leute nehmen einfach gerne Platten in die Hand, um sie sich anzusehen und zu riechen. In 30 Jahren wird es keine physischen Tonträger mehr zu kaufen geben. Dann wird alles gestreamt werden.
Aldrich: In meiner Jugend versuchten wir, Informationen über unsere Helden zu finden, mit denen wir aufgewachsen sind. Das einzige, wo man etwas herausfinden konnte, waren Alben. Ich ging also oft in den Plattenladen.
Sammeln Sie noch selbst Platten oder streamen Sie lieber?
Hughes: Ich nicht.
Aldrich: Ich auch nicht. Ich habe kleine Kinder. Also geht alles an die Kids. Die mögen Bruno Mars. Das ist ein Rückgriff auf den R&B der 1970er Jahre. Ich liebe diese Art von Musik! Meine Kinder sind aber auch mit Classic Rock aufgewachsen.
Kulturpessimisten behaupten Rockmusik sei tot, alles wiederhole sich nur noch. Wie denken Sie darüber?
Hughes: Was diese Kritiker sagen, ist ihre eigene Meinung. Generell klingen viele der neuen Rockbands wie Deep Purple, Led Zeppelin oder AC/DC. Man kann die ruhmreichen 1970er Jahre in vielen der neueren Bands mit 20-jährigen Kids heraushören. Das ist ein großer Respekt für dieses Genre. Ich möchte einfache Melodien hören und etwas, das ein bisschen riskant und kantig ist. Es muss nicht perfekt und absolut korrekt sein. Man könnte hier ruhig ein paar Risiken eingehen. Ich warte also immer noch darauf, dass das passiert.
Aldrich: In der Musik gibt es nur eine bestimmte Anzahl von Noten. In Melodien finden Sie deshalb Elemente, die Sie schon einmal gehört haben. Bei Revolutionen kommen die Dinge wieder zurück. Was in den frühen 1970er Jahren passierte, passierte in den 1990er Jahren nicht mehr. Aber jetzt kommt es zurück. Die Musik einer Band wie Free ist ganz einfach. Sie ist heavy und nicht heavy zur gleichen Zeit. Sie ist heavy mit einem Vibe und hat bluesige, einfache Melodien. Das Gitarrensolo von „All Right Now“ ist ein Meisterwerk! Es klingt so schön wie eine Geige.
Was fasziniert Sie bis heute an der E-Gitarre?
Aldrich: Als Gitarrist gibt es immer etwas zu lernen. Ich versuche, die Grenzen der kleinen Dinge zu erweitern. Details, an die man nicht unbedingt denken würde. Wie Paul Kossoffs schnelles Vibrato, das wirklich einzigartig und cool war. Angus Young hat das auch. Ich habe ein etwas breiteres Vibrato, aber ich versuche, einige andere Techniken zu erlernen, weil es wichtig ist, immer wieder Neues auszuprobieren.
Geben die Labels den Rockbands viel Geld, damit sie Alben machen?
Hughes: Nein, das ist vorbei. (lacht höhnisch)
Aldrich: Glenn, Brian Tichy und ich könnten ein Album zu Hause machen, ohne dass es uns etwas kostet. Aber es ist natürlich ein Vorteil, ein Budget zu haben, das es ermöglicht, Alben wie „Radiance“ zu machen.
Wie hoch ist Ihr Anspruch an eine Albumproduktion?
Hughes: Der Produzent Martin Birch, mit dem ich bei Deep Purple und Black Sabbath zusammengearbeitet habe, hat immer sehr schöne Alben gemacht. Die waren nicht ganz so laut, aber man konnte die Musik aufdrehen und sie klang wirklich druckvoll. Das Schöne daran war die Trockenheit des Sounds.
Ihr Album „Radiance“ wurde von Ben Grosse (Red Hot Chili Peppers, Depeche Mode, Marilyn Manson) betreut. Warum brauchen erfahrene Musiker wie Sie einen Produzenten?
Aldrich: Wenn Glenn und ich etwas zu Hause aufnehmen, machen wir es schnell, naiv und natürlich. Die Musik auf unseren Demos hat einen gewissen Vibe. Und der Produzent im Tonstudio will diese Demos aufbrechen und zum Beispiel verschiedene Sounds ausprobieren. Es ist gut, ein frisches Ohr mit dabei zu haben. Das heißt aber nicht, dass ich immer mit allem einverstanden bin. Deshalb hat man ja auch einen Produzenten, der etwas zur Party beisteuern kann. Um ehrlich zu sein, hat uns Ben Grosse den wirklich guten Rat gegeben, ein paar Änderungen an den Songs vorzunehmen. Nur Kleinigkeiten, aber es war gut.
Im selben Raum zu sein – macht es wirklich einen Unterschied, wenn man auf diese Weise aufnimmt?
Hughes: Für mich ist das die einzige Möglichkeit, Musik zu machen.
Aldrich: Ein Schlagzeuger wie Brian Tichy hat so viel Wissen über Musik. Darüber kann man nur reden, wenn man gemeinsam im Studio ist. Und dann haut man es zusammen raus, spielt es und nimmt kleine Änderungen vor. Wir haben 1000 Änderungen an einem Song gemacht. Das wäre nie passiert, wenn wir nicht zusammen im Studio gewesen wären.
Sind Studios magische Orte?
Aldrich: Ich glaube, einige Studios haben tatsächlich etwas Magisches an sich, wie zum Beispiel die alten Sound City Studios in Los Angeles. Als ich jung war, habe ich dort gearbeitet und war wirklich begeistert davon. Jeder, von Fleetwood Mac bis Tom Petty, hat dort gewirkt.
Hughes: Ich war 1972 in den Island Studios in London, um das dritte Trapeze-Album einzuspielen. Das war ein Ort, an dem Traffic, Free und die Rolling Stones ihre Musik aufgenommen haben. Ich war jung, hörte all diese fantastischen Alben und dachte, das ist ein glorreicher, magischer Ort. Ich fand es unglaublich, dass ich in demselben Raum war, in dem all das passiert war.
Glenn, Sie sind ein sehr spiritueller Mensch. Welche Rolle spielt diese Spiritualität bei Ihrer Musik?
Hughes: Als ich vor 30 Jahren aufhörte zu trinken und Drogen zu nehmen, habe ich mich selbst zu etwas verpflichtet: Ich werde nur noch über das menschliche Dasein schreiben. Ich werde anderen helfen, den Sinn der Existenz hier auf Erden zu verstehen – als spirituelle Wesen, die in menschlicher Erfahrung leben. Wenn ich heute Menschen sehe, versuche ich, nicht auf die physischen Dinge zu schauen, sondern auf die Seele. Wir sind alle spirituelle Wesen in menschlichem Gewand. Die höchste Form der Meditation ist für mich, wenn ich singe.
Ist es wie eine Selbsthypnose, vor einem Publikum auf der Bühne zu stehen?
Hughes: Ja, wie es in dem Song „Hypnotize Yourself“ heißt. Wenn ich singe, verbinde ich mich mit den Leuten im Publikum und sie verbinden sich mit uns – das gilt auch für die Gedanken. Es ist eine Freude, auf der Bühne zu stehen, als Entertainer und Sänger. Wir können hoffentlich ein Teil dieser Liebe sein.
Was reizt Sie sonst noch am Live-Spielen?
Aldrich: Für mich ist es ein Luxus. Es ist eine wunderbare Möglichkeit, mit Menschen in Kontakt zu treten. Es ist auch gut für unsere geistige Gesundheit.
Hughes: Auf der Bühne habe ich keine Probleme, keine Ängste, keine Sorgen. Ich bin völlig frei, mein Geist ist leer, ich denke nicht mehr. Denn ich weiß, dass alles gut ist.
Die Gruppe ABBA ist in Form digitaler Avatare auf die Konzertbühne zurückgekehrt. Ist das die Zukunft?
Hughes: Es mag sich komisch anhören, aber ich glaube, dass das die Zukunft sein wird. Sie beginnt bereits jetzt. Ronnie James Dio war ja auch schon als Hologramm auf Tour.
Wie geht es weiter mit der Live-Musik?
Hughes: Das wird für manche vielleicht ein Schock sein, aber ich glaube, in 50 Jahren wird es nicht mehr viel Live-Musik geben, alles wird programmiert sein und die Leute werden Lippensynchronisation betreiben. Ich weiß nicht, wohin sich die Rockmusik entwickeln und wie sie sich verändern wird, aber der Gedanke, dass sie irgendwann zu einem Ende kommen wird, ist ziemlich beunruhigend.