“The Hardest Part Of Ending Is Starting Again”
Die Hauptrollen dieser einzigartigen und bittersüßen Karriere spielen Mike Shinoda (41, Rap, Key.), Brad Delson (40, Git.), Dave „Phoenix“ Farrell (41, B.), Joseph „Joe“ Hahn (40, DJ), Rob Bourdon (39, Dr.) und der tragische Held Chester Bennington († 2017, Ges.).
Wie muss es sich anfühlen, wenn die Stimme, die einen selbst und eine ganze Generation geprägt hat, plötzlich für immer verstummt? Diese Frage wurde am 20.07.2017 für Millionen von Menschen viel zu früh beantwortet, als sich die Nachricht von Chester Benningtons Suizid wie ein Lauffeuer verbreitete …
Linkin Park haben mit ihren Songs und ihrer stets bescheidenen Art die aktuelle Musikwelt so sehr geprägt, wie kaum eine andere Band. Sie schufen Lieder, die vom realen Leben erzählen und trafen ihre Fans mitten ins Herz. Die Tatsache, dass sich das Sextett nie einem bestimmten Genre zugehörig fühlte, sorgte bis zuletzt für Diskussionen …
Der erste und wichtigste Schauplatz ist das 20.000-Seelen Städtchen Agoura Hills (Kalifornien), das als „Tor zu den Bergen Santa Monicas“ gilt. Da der Ort in den 90er Jahren von Straßenkriminalität geplagt war, boten die Schulen künstlerische Alternativen an, um die Jugendlichen sinnvoll zu beschäftigen. So tat es auch die Agoura High-School, die u. a. vom talentierten Schüler Mike Shinoda besucht wurde: Der Sohn eines japanischen Vaters und einer europäischen Mutter wurde im Alter von 4 Jahren beim Klavierunterricht angemeldet. Die zweite Leidenschaft des US-Amerikaners ist das Zeichnen: Seine Eltern packten stets Stifte und einen Malblock ein, wenn die Familie einen gemeinsamen Ausflug machte, um ihren begabten Jungen ruhig zu stellen. Ob Mike und Anna Shinoda heute dieselben Methoden zur Beschäftigung wählen, müsste man ihren Sohn Otis Aiko fragen.
Ein weiterer, ehemaliger Schüler der Schule heißt Brad Delson, dem das musikalische Talent wohl ebenfalls in die Wiege gelegt wurde: In der Grundschule begeisterte er sich für die Trompete, die im Alter von 12 Jahren gegen eine Gitarre getauscht wurde. Als sich Delson und Shinoda anfreundeten, zeigte sich letzterer begeistert von dem sechssaitigen Instrument und tauchte tiefer in die Musikwelt ein. Von Blues und Jazz, ging es über Rock bis zum Hip-Hop – die Vorbilder hießen Metallica, Guns N‘ Roses, Dr. Dre und Public Enemy. Seit der Kollaboration von PE mit Anthrax („Bring The Noise“), ist sich Mike sicher, dass Rap und Rock/Metal hervorragend miteinander harmonieren – der Grundstein für Linkin Parks einzigartigen Sound wurde gelegt.
So entwickelte sich in Shinoda der Wunsch, eine Band zu gründen. Über Brad lernte Mike Rob Bourdon kennen, der schon seit der dritten Klasse wusste, dass er später professioneller Drummer werden will – das Schlüsselereignis spielte sich auf einem Aerosmith-Konzert ab, das er mit seiner Mutter Patty besuchte, als die beiden auf den Schlagzeuger Joey Kramer trafen. So trommelte Rob bereits in der sechsten Klasse in einer Grunge-Coverband, stieg in der 10. Klasse bei der Band Karma ein und gründete kurz darauf mit Brad die Gruppe Relative Degree – ihr größter Wunsch war es, einmal im „The Roxy“ am Sunset Strip aufzutreten. Nachdem dieser in Erfüllung ging, lösten sie die Gruppe wieder auf.
Das Trio Shinoda, Delson und Bourdon zögerte nicht lang: 1996 gründeten sie Xero. Als die High-School abgeschlossen war, trennte sich die schulische Laufbahn: Mike studierte an einer Kunsthochschule und Brad studierte in Los Angeles Kommunikationswissenschaften. Dass diese Entscheidungen für die Gruppe Gold wert sein würden, ahnte noch niemand.
Auf der Kunsthochschule trafen Mike Shinoda und der koreanischstammige Joseph „Joe“ Hahn aufeinander. Mr. Hahn zeigte sich ebenfalls als Hip-Hop-Begeisterter und lebte seine Leidenschaft an den Turntables aus. Primär fokussierte sich Joe auf die Filmemacherei, die zu seiner größten Passion zählt. Bereits in jungen Jahren war Hahn in der Produktionsebene der Serie „Akte X“ aktiv. Ihm gefiel die musikalische Vision von Xero und stieg ein. Zeitgleich teilte sich Brad auf dem College ein Zimmer mit Dave „Phoenix“ Farrell, der seinen Spitznamen seinem Phoenix-Tattoo auf dem Rücken zu verdanken hat. Dave bekam von seiner Mutter Gitarrenunterricht – musste den Sechssaiter in seiner alten Band The Snax allerdings gegen einen Viersaiter tauschen. Somit passte Phoenix perfekt in das Anforderungsprofil von Xero, die bis dato noch auf der Suche nach einem Bassisten waren. Neben der Musik steht Dave auf europäischen Fußball und zeichnete schon als Kind die Spiele seiner Lieblingsmannschaft Manchester United auf. Diese Passion teilt er inzwischen mit seinen drei Töchtern.
Xero waren fast komplett – es fehlte nur noch der gesanglich melodiöse Gegenpart zum Rap. Da fiel Mike sein Jugendfreund Mark Wakefield ein, der die Lücke vorerst schließen konnte – das Line-Up war perfekt! Die ersten Auftritte gaben die Jungs vor ihren Freunden – allerdings bestanden die Abende nur aus Cover-Songs. Dass das auf Dauer nicht funktionieren würde, war der Gruppe bewusst: Eigenes Material musste her. Mike schloss sich in seinem Schlafzimmer ein, um eigene Tracks aufzunehmen. 1997 erschien mit „XEROX“ das erste Demo – es interessierte sich jedoch niemand dafür.
Im Rahmen seines Studiums absolvierte Brad ein Praktikum beim Musikunternehmen Zomba. Der damalige A&R Manager war Jeff Blue (50), der u. a. für Karriereschübe von Bands wie KoRn verantwortlich war. Brad spielte ihm das Demo vor und konnte Blue sowohl von der Musik als auch von dem Selbstbewusstsein der Band überzeugen – also nahm er Xero unter seine Fittiche. Am 14.11.1997 verschaffte Jeff den Jungs einen Auftritt im Vorprogramm von System Of A Down im Whiskey A Go Go zu Hollywood. Der Gig war recht ordentlich, die darauffolgenden eigenen Konzerte blieben nahezu menschenleer. Da der Erfolg auf sich warten ließ, verließ Dave die Band wieder, um sich auf sein Studium sowie The Snax zu konzentrieren – sein Posten wurde mit Kyle Christener neu besetzt. 1998 warf Mark Wakefield ebenfalls das Handtuch. Ein neuer Sänger musste her. Und zwar einer, der der Band ein einzigartiges Leben einhauchen würde.
Blue erinnert sich, dass ihn ein Freund auf einen besonderen Sänger aus Phoenix, Arizona hinwies. Sein Name: Chester Bennington. Der Sohn einer Krankenschwester und eines Polizisten hatte einen 13 Jahre älteren Bruder sowie zwei Halbschwestern. Als Chester elf Jahre alt war, ließen sich seine Eltern scheiden, er blieb bei seinem Vater. Dass Chesters Kindheit und Jugendphase schwer gewesen sein muss, spiegelt sich in allen Texten wieder. Trotzdem schaffte er es, in der Musikwelt Fuß zu fassen und lieh eine Zeit lang der Post-Grunge-Kapelle Grey Daze seine Stimme. Am 20.03.1999 – während seiner eigenen Geburtstagsparty – erhält Bennington den wohl wichtigsten Anruf seiner Karriere. Jeff Blue war am anderen Ende der Leitung und erzählte, dass er eine vielversprechende Band kenne, zu der Chester perfekt passen würde. Am nächsten Tag lag bereits das Demo von Xero in der Post. Der Hoffnungsträger sang die Stücke neu ein – per Kurier ging das Tape zurück zu Blue, der hellauf begeistert war. Keine 48 Stunden später fand sich Chester im band-eigenen Proberaum in Hollywood wieder und stellte sich dem Rest der Truppe vor – die einzigartige Wucht und Sensibilität des jungen Mannes fand Anklang.
Mit dem neuen Frontmann musste auch ein anderer Name her: Aus Xero wurde Hybrid Theory. Die Jungs tüftelten an neuem Material und brachten im Mai 1999 die EP „HYBRID THEORY“ auf den Markt. Doch auch die zog weder Plattenlabels noch Käufer an. Um den Bekanntheitsgrad zu erweitern, errichteten Mike, Chester & Co. die Homepage hybridtheory. com, verteilten die EP kostenlos auf der Straße und spielten über 40 Konzerte – vorerst erfolglos. Erst der berufliche Wechsel von Jeff Blue sorgt für einen gewaltigen Schritt nach vorn: Im Jahr 2000 fing er an, bei Warner Records zu arbeiten und nahm die Band endlich unter Vertrag. Aufgrund der Ähnlichkeit zur britischen TripHop-Gruppe Hybrid muss ein letzter Namenswechsel her. Bennington schlug Lincoln Park vor, benannt nach einem grünen Areal in Santa Monica. Eine Verballhornung sorgte für den Band-Namen, der später in aller Munde sein würde: Linkin Park.
Mit einem Plattenvertrag in der Tasche, wollten die Jungs durchstarten. Fast alle: Der Bassist Kyle Christener warf hin. Auf der Suche nach einem Produzenten, der sich der jungen Gruppe annahm, stellten alle Beteiligten erneut fest, dass einem das Glück nicht in den Schoß fällt – niemand wagte sich an die Kalifornier heran. Bis sie auf Don Gilmore trafen, der als einziger Interesse zeigte. Nun war es endlich so weit: Linkin Park enterten das NRG-Studio in Hollywood, um ihr Debüt-Album „Hybrid Theory“ aufzunehmen. Der Titel steht für die Musik, die das Sextett in der gesamten Karriere fabrizierte – denn die Platten fahren nie eine gerade Linie und glänzen durch Kreuzungen unterschiedlicher Genre. Innerhalb von vier Wochen wurde das Werk fertig gestellt und am 24.10.2000 auf den Markt gebracht. Die zwölf Songs schlugen ein wie eine Bombe. In einer Zeit, in der Kaugummi-Pop an der Macht war, stellte der sogenannte „New Metal“ eine willkommene Abwechslung dar. Der übliche Begriff „Metal“ wurde durch ein „New“ ergänzt, um sich klar vom 70er und 80er Metal abzugrenzen – denn mit diesem wollten Gruppen wie Linkin Park nichts zu tun haben.
„Hybrid Theory“ landete in den Top 5 sämtlicher Charts (u. a. Deutschland, USA, UK) und verkaufte sich bis heute über 30 Millionen Mal. Der steile Erfolg lag auf der einen Seite wohl an dem bis dato untypischen Mix aus Hip-Hop und Metal sowie an den authentischen Texten, die aus dem wahren Leben stammen. Besser gesagt: aus Chesters Leben. Die Songs handeln von Alkohol, Drogen und Missbrauch. Dinge, mit denen Bennington schon früh in Berührung gekommen ist: Als er noch ein kleiner Junge war, wurde der Sänger regelmäßig von einem Bekannten der Familie vergewaltigt. Weil er sich dafür schämte, vertraute er sich niemandem an und das, obwohl sein Vater auf Missbrauchsfälle bei Kindern spezialisiert war. Stattdessen drückte sich Chester in Zeichnungen und der Musik aus. Das reichte auf Dauer nicht, weshalb er zu Drogen und Alkohol griff – Rauschmittel, die ihn sein Leben lang verfolgen würden.
„Ich habe so viel Acid, Crack und Opium eingeworfen, dass es an ein Wunder grenzt, dass ich heute noch sprechen kann.“, gab der Frontmann zu, „Ich wog nur noch 55 kg – meine Mutter sagte, ich sah aus wie ein Inhaftierter von Auschwitz.“.
Da Linkin Park nun in aller Ohren und Munde waren, verirrte sich ein alter Bekannter zurück: Dave Farrell. Um nicht wieder von der Bildfläche zu verschwinden, fingen Chester & Co. an, eifrig an neuem Material zu arbeiten. Als Produzent wurde erneut Don Gilmore verpflichtet. So enterte „Meteora“ am 25.03.2003 die weltweiten CD-Regale und schoss an die Spitzen sämtlicher Charts. Aufgrund der Ähnlichkeit zu „Hybrid Theory“ wurde Shinodas Ziel „neue Wege der Kreativität zu finden“ verfehlt. So schwor sich die Gruppe, nie wieder eine Platte zu produzieren, die vorherigen Alben gleicht.
Die Jungs merkten, dass sowohl das Tour-Leben als auch die Album-Produktionen in diesen kurzen Abständen zu stressig waren – Chester erkrankte sogar an einer Gastritis, weshalb er operiert werden musste. So zogen sie sich voneinander zurück und sammelten neue Kräfte. Während der Schaffenspause gründeten die Frontmänner jeweils Nebenprojekte, um ihre musikalische Leidenschaft, die nicht zu Linkin Park passte, auszuleben. Mit Fort Minor tauchte Mike Shinoda 2005 tiefer in die Welt des Hip-Hops ein und brachte prompt die erfolgreiche Platte „The Rising Tied“ inkl. des Hits „Remember The Name“ auf den Markt. Chester gründete mit Dead By Sunrise eine Formation, die sich noch düsteren Texten und Tönen zuwandte, als es Linkin Park ohnehin schon taten. Der Gruppenname steht für die Grundstimmung des Sängers: „Ich war mir nie sicher, ob ich den Sonnenaufgang des nächsten Tages miterleben würde.“. 2009 erschien mit „Out Of Ashes“ die erste und einzige Platte.
Während es seit Anfang der steilen Karriere so wirkte, als habe Chester seine manische Depression und Drogenprobleme tatsächlich im Griff, erlitt der Sänger 2005 einen herben Rückschlag, als sich seine erste Ehefrau Samantha Marie Olit von ihm scheiden ließ. Bennington verkraftete die Trennung so schlecht, dass er in ein dunkles Loch fiel und sich nur mit Drogen und Alkohol retten konnte: „Im Nachhinein kann man sagen, dass ich mich zu Tode saufen wollte.“. Ein Jahr später unterzog er sich erstmalig einer Entziehungskur und heiratete daraufhin das ehemalige Playboy-Model Talinda Ann Bentley (41) – die neue Liebe sowie die Unterstützung seiner Kollegen holten ihn aus dem dunklen Loch heraus.
2006 setzte sich das Sextett wieder zusammen, um das dritte Album zu planen. Damit der Weg in keiner Sackgasse landet, wurde Rick Rubin als Produzent verpflichtet. Er brachte eine neue Sichtweise mit und ermunterte die Truppe, sich musikalisch auszuprobieren und neue Einflüsse zuzulassen. So erschien am 14.05.2007 „Minutes To Midnight“, das sämtliche Chart-Spitzen stürmte. Die zwölf Stücke haben nicht mehr viel mit den beiden Vorgängern zu tun – dieses Mal dominieren ruhigere Gesangspassagen, die erstmals ebenfalls von Mike übernommen wurden. Hip-Hop und Metal sind in den Hintergrund gerückt. Mit dem neuen Sound etablieren sich Linkin Park im Mainstream-Bereich, verlieren jedoch viele, eingefleischte Rock-Fans.
Nachdem die dazugehörige Tour, auf der Chester sich in Melbourne das Handgelenk gebrochen hat, erfolgreich beendet wurde, fand sich die Gruppe mit ihrem Produzenten Rick Rubin im Studio wieder. Gemeinsam skizzierten sie das vierte Studioalbum. Die Gitarren rückten in den Hintergrund und erstmals wurden elektronische Klänge zugelassen – der Metal und Hip-Hop wurde abgestreift und die Tür zum Synthie-Pop/Rock geöffnet. Für Fans, die sich eine „Back to the roots“-Platte wünschten, folgte am 08.09.2010 der metaphorische Faustschlag ins Gesicht: Denn an diesem Tag erblickte „A Thousand Suns“ das Licht der Welt. Ein klasse Album. Aber wer auf den harten Style der Anfangstage steht, kann hiermit nicht viel anfangen.
Um in eine weitere künstlerische Welt einzutauchen, wagte sich Bennington an die Schauspielerei und verkörperte Evan in Saw 3D (2010). Kurz darauf ging es schon wieder auf Welt-Tournee. Einmal mehr war Chesters Körper dem Tournee-Stress nicht gewachsen. Er erkrankte, sodass drei Konzerte abgesagt werden mussten und brach sich in Asien die Schulter. „Seit ich 30 Jahre alt bin, habe ich ständig körperliche Probleme“. Obwohl der Band-Stress den Sänger zunehmend auslaugte, wollte die Gruppe keine Zeit verlieren und quartierte sich nach sehr kurzer Pause wieder mit Rick Rubin im Studio ein. Statt musikalisch noch einen weiteren Schritt nach vorne zu gehen, kramten Mike & Co. in der Rock- und Hip-Hop-Kiste und brachten wahre Schätze hervor. Dem Synthie-Sound haben die Jungs nicht komplett abgeschworen, doch auch der kommt dieses Mal viel härter daher, als beim Vorgänger. „Wir wollten ein brachiales Werk erschaffen, ohne zum Metal zurückzukehren“, erklärt Shinoda die neue Platte „Living Things“, die am 20.06.2012 erschien.
Obwohl Chester sich nicht sicher war, ob sein Körper dem Tournee-Alltag weiterhin standhalten würde, nahm er das Angebot an, bei seiner Lieblingsband Stone Temple Pilots für Sänger Scott Weiland († 2015) einzuspringen. Der Frontmann überstand die Prozedur ohne größere Schäden, sodass Linkin Park nun an der sechsten Platte arbeiten konnten. Ziel war es, die Werke in einem Rhythmus von zwei Jahren zu veröffentlichen. Da sich die Kalifornier in ihrer Sache inzwischen sicher waren, verzichteten sie erstmals auf einen externen Produzenten, sodass Mike Shinoda und Brad Delson den Job erledigten. Obwohl ersterer viele Song-Ideen gesammelt hat, die die Philosophie der beiden Vorgänger-Platten weitertragen würden, verwarf er diese wieder, um einen alten Weg neu zu besiedeln. Während der Komposition entdeckte Brad die Gitarre wieder, sodass diese eine große Rolle auf „The Hunting Party“ spielt, das am 13.06.2014 auf den Markt kam. Es scheint, als hätte das Sextett wieder einige Schritte zurück zum Ursprung gewagt. Ein großer Hoffnungsschimmer für Fans, die sich seit Jahren das „alte“ Linkin Park zurückwünschten.
Nach der letzten großen Welt-Tournee, brach Chester sich sein Bein so kompliziert, dass es fast ein Jahr dauerte, bis es verheilte. Einmal mehr wurde deutlich, dass der Körper seinem Lebensstil nicht gewachsen war. Als der Sänger wieder mobil war, enterten Linkin Park ein letztes Mal gemeinsam das Studio, um ihr persönlichstes Album aufzunehmen. Als Produzenten fungierte wieder das Duo Shinoda/Delson. Während des Songwritings setzten sich die Jungs häufig zusammen, um über ihr Leben zu reden – über ihre Sorgen und Ängste. Parallel dazu spielte Mike auf dem Klavier und es wurden Lieder kreiert. Nach einer Schaffensphase von zwei Jahren erschien die letzte Studio-Platte „One More Light“ am 19.05.2017. Die CD wurde weltweit von negativer Kritik überschüttet, weil Linkin Park sich einmal mehr in unbekanntem Terrain ausprobierten, was sehr ruhige Mainstream-Töne zur Folge hat. „One More Light ist unsere ganz persönliche Suche nach Licht und Hoffnung“, erklärt Chester, „Leute, die sagen, wir hätten diese neue musikalische Richtung nur aus Marketing-Gründen eingeschlagen, um damit das große Geld zu verdienen, dürfen mich gern vor der Tür treffen, und dann bekommen sie von mir eine aufs Maul, denn das ist verdammt noch mal nicht wahr!“.
Für Linkin Park ist dies die authentischste Platte ihrer Karriere, sagen sie.
Besonders der Titeltrack verdeutlicht, mit welchen Sorgen sich die sechs Individuen täglich rumschlugen – Zeilen wie „Who cares when someone’s time runs out? If a moment is all we are“ gehen unter die Haut. „Es ist wichtig Schmerz zuzulassen. Mein Vater hat seit vielen Jahren kein Wort mehr mit mir gewechselt und ich verstehe nicht, weshalb. Das nagt zunehmend an mir, weil er langsam älter wird. Ebendiese Gefühle durchlebe ich bei „One More Light“. Die Essenz ist doch immer dieselbe: Wir erinnern uns bei dem Track an etwas, das nicht mehr da ist.“, erzählt Bennington über den Song. „Mike kam eines Tages mit diesem Song ins Studio und sagte, er habe ihn für einen verstorbenen Freund geschrieben. Er erzählte, was ihn dazu bewegt hatte, doch als ich den Track hörte, ging es mir gar nicht mehr darum. Für mich ging es plötzlich um den Tod meiner Mutter, die vor acht Jahren starb, was ich aber nie richtig verarbeitet hatte.“, ergänzt Dave, „Ich wurde von diesem Lied emotional komplett auseinandergenommen.“.
Während der Promotion zur neuen Platte, wirkte Chester so glücklich, wie nie. Er war voller Lebensmut und Zuversicht … Als sein bester Freund Chris Cornell (Soundgarden) sich am 18.05.2017 nach langjährigen Depressionen das Leben nahm, wurde der Sänger jedoch komplett aus der Bahn geworfen. Bei der Beerdigung Cornells sang Bennington eine herzzerreißende Version des Cohen-Klassikers „Halleluja“, um kurz darauf während der „One More Light“-Perfomance bei der Jimmy Kimmel-Show fast in Tränen auszubrechen. „Nachdem Chester gesehen hat, wie sehr die Familie Cornell unter dem Tod litt, hätte ich nie gedacht, dass er sich je etwas antun würde.“, erzählt Witwe Talinda. „Er gab mir und den Kindern einen Abschiedskuss. Dann sah ich ihn nie wieder.“.
Die grausame Kindheit, der Alkohol- und Drogen-Konsum, der anfällige Körper, die unsichere Seele sowie der Verlust seines besten Freundes; all diese Faktoren ließen kein Licht mehr in Chesters sehr dunkler Welt zu. „Wenn die Musik nicht wäre, wäre ich schon längst tot.“, gab er einst zu. Doch nicht einmal seine Band konnte ihn noch retten. Am 20.07.2017 verlor Chester Bennington seinen lebenslangen Kampf gegen die inneren Dämonen, als er sich in seinem Haus in Palos Verdes Estates im Alter von 41 Jahren erhängte. Er hinterlässt neben seiner Witwe seine sechs Kinder Jaime (22), Isaiah (20, beide adoptiert), Draven (16, aus erster Ehe mit Samantha), Tyler (12) und die Zwillingsmädchen Lila und Lily (6, aus der Ehe mit Talinda).
Am 29.07.17 nahmen seine Familie und engsten Freunde – zu denen auch Mike, Brad, Dave, Rob und Joe gehören – Abschied von ihrem tragischen Helden. Die private Trauerfeier fand in einem Botanischen Garten in Rancho Palos Verdes statt.
Ob und wie es mit Linkin Park weitergeht, ist noch ungewiss. Sicher ist aber, dass die Musikwelt und jeder einzelne Zuhörer sie nie vergessen werden.
Justine Stock