Musik Monopol – Live Nations
Live Nations
Heutzutage wird immer wieder gerne angeführt, dass die Künstler so gierig seien und mit ihren hohen Gagenforderungen die Ticketpreise in die Höhe treiben würden.
Dies ist nur zum Teil richtig. Ein wesentlicher Grund für die hohen Gagen und ihre Durchsetzbarkeit sind die Monopolstrukturen des Konzertgeschäfts.
Wenn es nur noch einen Quasi-Monopolisten gibt, dem landesweit fast alle Spielstätten und Konzertveranstalter gehören, und wenn auf der anderen Seite nur wenige große, den Markt dominierende Managerfirmen fast alle Künstler repräsentieren, dann steigen unweigerlich die Preise – für die Künstlergagen, für die Ticketpreise, ja, selbst für die Parkplätze.
Es ist eine der Besonderheiten des Konzertgeschäfts, dass der Wettbewerb anders als in anderen Bereichen der Wirtschaft die Preise steigen und nicht sinken lässt.
Künstler, Manager und Agenten wollen immer, dass mehrere Veranstalter Angebote machen, sich gegenseitig überbieten und die Gagen hochtreiben.
Diese Marktlogik wird durch Konzentrationsprozesse, an deren Ende nur noch ein den Markt dominierender Konzertkonzern steht, ausgehebelt Insofern war es ein sehr smarter Move von Irving Azoff und einigen anderen einflussreichen Managern, den Spieß umzudrehen und den Einnahmenanteil gegenüber SFX (Anm. der OXMOX-Red; amerikanischer Konzert- und Event-Veranstalter) neu zu definieren.
Die Entwicklung war nicht von Dauer. Aber eine Weile konnte es sich SFX immerhin leisten, den Künstlern 90 Prozent der Einnahmen zuzusichem, weil der Konzern mit den Nebengeschäften von Getränkeverkauf bis Sponsoring genug verdiente.
Seit dem Markteintritt von SFX 1996 waren die Ticketpreise um sage und schreibe 50 Prozent gestiegen!
1999 konnte SFX Entertainment einen Umsatz von 1,5 Milliarden Dollar verzeichnen und machte damit einen Gewinn von 209 Millionen Dollar.
Der Konzern expandierte unter anderem nach Europa, stieg ins Musicalgeschäft ein (SFX produzierte am Broadway das Erfolgsmusical The Producers) und wurde der weltgrößte Produzent und Veranstalter im Bereich Live-Entertainment.
Robert F. X. Sillerman hatte gezeigt, dass das Veranstalten von Konzerten ein Milliardengeschäft war, wenn man sich die politischen Rahmenbedingungen zunutze machte und Monopole schuf.
SFX Entertainment hatte in nur vier Jahren Firmen für mehr als 2 Milliarden Dollar aufgekauft.
SFX betrieb 120 Konzertstätten im ganzen Land. In einer Rede, die er im Rahmen desjährlichen »Concert Industry Consortiuma« im Februar 1999 in Los Angeles hielt, sagte Sillerman »In the words of Gozilla, size is good.
Size matters. There has to be a market leader in every business segmenm‘ Die Konzertveranstalter und Agenten waren jedoch enttäuscht von Bob Sillerman und seiner Rede.
Hier war das Musterbeispiel eines Geschäftsmannes ohne Visionen für das Konzertgeschäft, ohne jeden Enthusiasmus für Musik.
Hier ging es einem zugegeben sehr erfolgreichen Geschäftsmann ausschließlich um Geschäft und Profit. Eine Figur der neunziger Jahre, eine Figur aus Zeiten des neoliberalen Shareholder-Value-Geschäftsmodells, eine Gestalt, die das Konzertgeschäft in nur vier Jahren auf den Kopf gestellt hatte.
Ein Mann aber, der mit Kultur nicht viel am Hut hatte. Im Jahr 2000 wurde SFX Entertainment für sage und schreibe 4,4 Milliarden US-Dollar an Clear Channel Communications verkauft, die weltweit größte Radiosenerkette, der fast 1.000 Radiostationen, 550.000 Plakatwände und 19 Fernsehstationen gehörten.
Clear Channel Communications ist in seiner heutigen Form ebenfalls ein typisches Produkt der »Liberalisierung« des Marktes in den neunziger Jahren durch den »Telecommunications Act«.
Hervorgegangen aus einer kleinen texanischen Radiostation, erwarb die Firma 1972 die erste UKW-Station in San Antonio, weitere Sender folgten. 1986 erwarb Clear Channel die ersten Stationen außerhalb von San Antonio.
Schon vier Jahre vor dem »Telecommunications Act« hatte der US-Kongress die Regeln für den Besitz von Radiostationen gelockert:
Firmen war es jetzt erlaubt, mehr als zwei Stationen im gleichen Markt zu erwerben.
1995 besaß Clear Channel daher bereits 43 Radio- und 16 Fernseh-Stationen und gehörte bald zu den Weltmarktführem für öffentliche Werbeflächen.
Mit der Verabschiedung des »Telecommunications Act« war es Clear Channel möglich, 70 andere Medienunternehmen und Radio- und TV-Sender zu erwerben.
Die texanische Firma finanzierte im übrigen, wen wundert es, die Präsidentschaftskampagnen des texanischen Gouverneurs George W. Bush.
Nach 1996 gab Clear Channel sage und schreibe über 30 Milliarden Dollar für den jetzt legalen Zukauf anderer Medienunternehmen aus und erwarb über 1.200 Rundfunk- und Fernsehstationen landesweit, davon bis zu sieben Stationen innerhalb der gleichen regionalen Märkte.
Der Konzern nutzte seine geballte Medienmacht auch politisch aus:
So verbannte Clear Channel die populäre amerikanische Country-Pop-Band Dixie Chicks aus allen Programmen, nachdem die Band auf einem Konzert in Großbritannien George W. Bush öffentlich
kritisiert und sich gegen den Krieg im Irak ausgesprochen hatte.
Unmittelbar nach den Anschlägen des 11. September wurde von Clear Channel Communications eine »schwarze Liste« mit Songs erstellt, die aus nationalen Gründen als »unpassend« galten und nicht mehr abgespielt werden durften.
Die Liste mit über 150 Songs reichte von John Lennons »Imagine« über Bob Dylans »Knockin’ on Heavens Door« und »Hey Joe« von Jimi Hendrix bis hin zu verschiedenen Songs von Neil Diamond Billy Joel, Elton John, den Rolling Stones sowie sämtlichen Stücken von Rage Against the Machine.
Clear Channel redete sich damit heraus, dass es sich um keine Verbote, sondern um »Empfehlungen« für die örtlichen, der Kette angeschlossenen Radiostationen handelte.
Die Songs wurden von Clear-Channel-Stationen dennoch nicht gespielt.
Gleichzeitig organsierte Clear Channel eine Pro-Irakkrieg-Propaganda-Tournee unter dem Schlagwort »Rally for America«.
Dass Zensur fiir den US-Unterhaltungsmogul Clear Channel Communications quasi systemisch ist, zeigt die Reaktion auf den für viele Nicht-Amerikaner wenig nachvollziehbaren »Nippelgate Skandal«, als in der Halbzeitpause des Super Bowl 2004 bei einem Auftritt von Justin Timberlake und Janet Jackson für einen kurzen Moment Jacksons entblößte Brust zu sehen war.
Der Sender erklärte, dass auf seinen Kanälen obszönes oder unanständiges Material nicht länger geduldet werde.
Einige Mitarbeiter wurden entlassen, die Show des bekannten Radiomoderators Howard Stern wurde von etlichen Clear-Channel–Stationen wegen seiner »vulgären Ausdrucksweise« aus dem Programm genommen.
Immer wieder wurde Clear Channel auch von Werbekunden verklagt, deren Werbung der Konzern nicht akzeptierte.
2004 etwa hatte die Aktivistengruppe »Project Billboard« ein Großplakat für die Außenwerbefläche am New Yorker Times Square gebucht.
Das Plakat war gegen die Invasion des Irak gerichtet und enthielt den Slogan »Democracy is best taught by example, not by war«.
Eine Tochterfirma von Clear Channel lehnte dieses Plakat ab. »Project Billboard« verklagte Clear Channel darauf wegen Vertragsbruchs und sah in der Ablehnung politische Motive.
Nach dem Kauf von SFX Entertainment verfügte Clear Channel im Live-Business über fast unbeschränkte Möglichkeiten:
Wenn eine Band durch die USA tourte, konnte Clear Channel die eigenen freien Werbeflächen nutzen und die Tour über sein gigantisches Sendernetzwerk mit 1.200 Radiostationen promoten Clear Channel zwang indirekt die unter Vertrag stehenden Künstler, die firmeneigenen Veranstaltungs-Stätten zu nutzen, indem ihnen mehr Radio-Air-play zugesichert wurde.
Clear Channel geriet unter massiven Druck der Öffentlichkeit und der Politik.
Vorwürfe der Wettbewerbsbehinderung wurden erhoben.
Das Unternehmen beschloss daher 2005, die Konzertsparte aus dem Konzern herauszulösen und in ein neues, eigenständiges Unternehmen mit dem Namen »Live Nation« zu überführen.
Live Nation, die Firma, die als SFX Entertainment noch für über 4 Milliarden Dollar gekauft worden war, wurde »nur noch« mit 1,5 bis 2 Milliarden Dollar bewertet. Aber am System hat sich nichts verändert:
Man ist auf weltweitem Einkaufstrip Live Nation will zum weltweiten Marktführer werden.
Live-Nation-Boss Michael Rapino ist ein kaltschnäuziger Texaner mit Red-Neck-Charme.
Ein Mann, der das protestantische Arbeitsethos repräsentiert. Für ihn ist die Welt dazu da, vom Stärksten gekauft zu werden. Was denn passiere, wurde Rapino gefragt, wenn Live Nation nicht wie geplant das legendäre Wembley-Stadion bespielen könne?
»Bauen wir eben unser eigenes Stadion direkt nebenan« Nun, Live Nation konnte das Wembley-Stadion ins Portfolio einreihen und nicht nur das.
Michael Rapino ist in Kanada aufgewachsen und diente sich nach einem Studenten-Job in der kanadischen Labatt-Brauerei zur Nummer Eins unter den Labatt-Vertretem hoch.
In einer versoffenen Nacht beschloss Rapino angeblich, dass er Chef einer Konzertagentur sein wollte, bevor er vierzig wurde, wahrscheinlich beeinflusst durch die Verflechtung des Labatt-Konzerns mit dem Konzertveranstalter CPI, der Firma eines gewissen Michael Cohl.
Nach zehn Jahren beim kanadischen Bierbrauer gründete Rapino seine eigene Konzertagentur und verkaufte sie später an den SFX-Konzern.
Für SFX/Clear Channel ging Rapino nach Europa, kümmerte sich um Territorien im Konzerngeflecht, die niemand haben wollte.
Vor allem aber beschäftigte sich Rapino intensiv mit dem Thema Sponsoring und entwickelte diesen Unternehmenszweig zu einem Kernbereich des Konzertgeschäfts.
Rapino wurde für Clear Channel und später Live Nation unverzichtbar.
In der Liste der »Billboard Power 100«, der hundert wichtigsten Player des internationalen Musikgeschäfts, wird Rapino 2012 auf Platz 6 gelistet.
Das amerikanische Magazin ist sich sicher, dass Rapino »das Konzertgeschäft fundamental verändert« hat.
Live Nation hat in den letzten Jahren führende Tourveranstalter in ganz Europa, vor allem aber auch Konzertsäle und Festivals erworben beziehungsweise sie werden von Live Nation betrieben oder gemanagt.
Heute gehören Live Nation diese europäischen Tourveranstalter:
Die niederländische Traditionsfirma Mojo Concerts, die dort Marktführer ist und unter anderem die Festivals Pinkpop, Lowlands und North Sea Jazz ausrichtet.
In Belgien hat Live Nation Rock Werchter gekauft und führt sie nun unter eigenem Namen; die Firma war und ist nicht nur Veranstalter des gleichnamigen Festivals, des größten in Belgien, sondern auch der führende belgische Tourveranstalter.
Live Nation hat zwei italienische Tourveranstalter aufgekauft und managt exklusiv die früheren olympischen Spielstätten in Turin, wozu die größte Arena Italiens, das PalaOlimpico, zählt.
Live Nation hat Tourveranstalter als Tochtergesellschaften in Finnland, Norwegen, Schweden, Dänemark und hat den spanischen Marktführer im Tourneegeschäft, Gamerco, gekauft. Live Nation betreibt Festivals und Konzerthallen sowie Stadien in Frankreich und Irland, vor allem aber stieg der Konzern in Großbritannien massiv ins Konzertgeschäft ein:
Die Liste reicht von Londoner Traditionsspielstätten wie der Wembley-Arena (den Management-Vertrag der Wembley-Arena hat Live Nation zum Jahresende 2012 allerdings gekündigt, wobei Live Nation weiter Veranstalteraufgaben in Wembley übernehmen soll), Brixton Academy und O2 Shepherd‘s Bush Empire über die Opernhäuser in Manchester oder York, das Empire Theatre in Liverpool bis hin zur Cardiff International Arena, von Festivals wie dem Hyde Park Open Air oer Latitude bis zum Beteiligungen an den legendären Festivals in Reading und Leeds. Besonders der Besitz von Spielstätten ist natürlich eine gewinnversprechende Strategie:
Veranstaltet ein Konzern dort seine eigenen Konzerte, kann er die Konzerte günstiger kalkulieren.
Benutzt aber ein Mitbewerber die Spielstätte, verdient der Konzern durch die Miete dennoch an dem Konzert, das er gar nicht veranstaltet.
Live Nation betrieb im Jahr 2012 117 Veranstaltungsstätten weltweit, davon 75 in den USA.
Zusätzlich verfügte der Konzern über das exklusive Recht, weitere 33 Veranstaltungsorte zu Buchen, weltweit also 150 Veranstaltungsstätten.
Gleichzeitig gehörten Live Nation zu diesem Zeitpunkt ganz oder teilweise Merchandising-Firmen Fanclubs und Konzertveranstalter, sogar in China und Dubai.
Doch Live Nation ging in Sachen Dominanz des Musikgeschäfts noch einen weiteren Schritt.
Beim »Concert Industry Consortium«, dem Jahrestreffen der Hauptakteure der Konzertindustrie, trat 2006 Michael Rapino als Hauptredner auf, sechsunddreißig Jahre alt und CEO der gerade neu gegründeten Live Nation.
Rapino sagte damals: »Ich habe immer die klugen Worte von Cohl im Hinterkopf gehabt.
Er hat gesagt: »Wenn du Veranstalter werden willst, kannst du das hergebrachte Modell übernehmen, oder du kannst versuchen, ein neues zu erfinden. «
Als ich den CEO-Posten bei Live Nation bekam, war meine erste Frage: »Wie kann ich das Modell ändern?«
Höchstwahrscheinlich hat er sich die Frage nicht erst zu diesem Zeitpunkt gestellt.
Denn schon bald präsentierte Rapino der Öffentlichkeit, welches neue Geschäftsmodell ihm vorschwebte – das sogenannte 360-Grad-Modell.
Gemeinhin versteht man unter einem 360-Grad-Deal in der Musikindustrie einen Vertrag zwischen einem Künstler und einer Firma der Musikindustrie, in dem der Künstler sämtliche seiner Geschäftsbereiche an diese Firma abtritt:
die Einnahmen aus Albumverkäufen, die Musikverlagseinnahmen, die Tourneeinnahmen, die Einnahmen aus Merchandising und Sponsoring. Der Künstler verkauft sich sozusagen mit Haut und Haar.
Aus: Berthold Seliger, „Das Geschäft mit der Musik. Ein Insiderbericht“, 352 Seiten, 18.- Euro
© Edition Tiamat, Verlag Klaus Bittermann, Berlin 2013.