Zeichen und Wahrzeichen
Lampedusa und Elbphilharmonie
Mit Wahrzeichen sind wir in Hamburg ja vertraut.
Die Bauruine, die uns seit vielen Jahren eine Elbphilharmonie zu werden verspricht, verschlingt immer neue Millionen.
Sie beschäftigt Bürger, Medien und Untersuchungsausschüsse.
Unverdrossen beschwört ihr ruinöser Zustand, dereinst werde sie den Namen Hamburg weltweit erstrahlen lassen – sobald etwa begüterte Passagiere abends ihre Kreuzfahrtschiffe verlassen, um zum Konzertsaal aufzubrechen und dort den Vermächtnissen europäischer Musikkultur zu lauschen.
Das Wahrzeichen einer Stadt, schreibt der Philosoph Hans-Dieter Bahr in seinem Buch über „Die Sprache des Gastes“, sei ein „Merkmal“, das auf einen Blick die Stelle ihres Namens einnimmt“ (305).
An die Stelle des Namens tritt mit dem Wahrzeichen also ein Bild; an die Stelle der Adresse das Emblem.
Emblematische Bilder aber sind besonders empfindlich gegenüber Unterbrechungen.
Bildstörungen verwinden sie nur schwer.
Von Flüchtlingen etwa, die im Mittelmeer bei dem verzweifelten Versuch ertrinken, ihr Leben zu retten, werden die Kreuzfahrer im sicheren Hafen unvermittelt der Barbarei überführt.
Zwar rufen die Ertrinkenden das Entsetzen des Publikums hervor und mobilisieren humanitäre Affekte.
Doch noch diese Affekte sind zweideutig Kaum scheint ihnen zum Problem zu werden, dass sie sich an Toten entzünden, ganz so, als sei der Humanitarismus selbst noch mit diesem Tod im Bunde.
Die Überlebenden dagegen werden den kalten Regimes der Verwaltung, den Rastern des Asylrechts, den Bürokratien juridischer Apparate überstellt, die den Flüchtenden zwingen wollen, sich auszuweisen, bevor er ausgewiesen wird. Und dies ist unerträglich.
Derart ergänzen sich jedenfalls Verwaltung und hurnanitäres Pathos.
So unverzichtbar, so unschätzbar die praktische Hilfe deshalb war und bleibt, die der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ in den vergangenen Wochen und Monaten von privaten, kirchlichen, schulischen, künstlerischen und kulturellen Initiativen zukam – eine Hilfe, ohne die ihr einfachstes Überleben unmöglich wäre – , so sehr müsste das Ineinanderspiel von bloßer Verwaltung und humanitärer Geste selbst durchbrochen werden.
Und das, exemplarisch vielleicht, hier in Hamburg.
Was eine Stadt ausmacht, könnte einem solchen Versuch immerhin entgegenkommen und ihn inspirieren.
Denn was ist eine Stadt?
Was macht ihre Gesamtheit aus?
Was etwa autorisiert ein städtisches Wahrzeichen wie die Elbphilharmonie dazu, die Gesamtheit, die Gänze der Stadt darstellen zu wollen?
Ist die Stadt überhaupt eine solche „Ganzheit“?
Ihre Nähe zumindest scheint ein anderes Bild freizugeben.
Sobald man in sie eintaucht, faltet sich die Stadt zu Offenheiten auseinander, wie Hans-Dieter Bahr uns zeigt.
Sie zerlegt sich in Vielheiten von Straßen und Plätzen, von Häusern und Einrichtungen, von Lebensumständen und Öffentlichkeiten.
Sie zerspaltet sich in fraktale Fluchten und architektonische Wiederholungen, die stets von Öffnungen zeugen und im Offenen enden – so dass jede Stadt eine „offene Stadt“ genannt werden müsste.
Dies sollen die Embleme und Wahrzeichen allerdings verbergen.
Mehr oder weniger gewaltsam suggerieren sie eine Geschlossenheit, in der sich die Offenheit der Stadt verstellt; denn, wie Hans-Dieter Bahr hinzusetzt:
„Wird diese Offenheit selbst öffentlich, kann die Stadt unfähig erscheinen, sich gegen feindliche Eindringlinge oder innere Usurpatoren wehren zu können, aber ebenso eine Stärke bekunden, äußere oder eigene Fremdheiten aufzunehmen und mit ihnen umgehen zu können, ohne diese nur durch Angleichungen zu absorbieren.“ (307)
Um diesen öffentlichen Konflikt geht es auch bei „Lampedusa in Hamburg“.
In ihm stellt sich ein Verhältnis von Stärke und Schwäche her und wiederholt sich in immer neuen Konstellationen.
Zunächst wird er gegen Xenophobien und Rassismen ausgetragen, denen bekanntlich eine elementare Schwäche eigen ist.
Sie können sich gegen Fremde lediglich einschließen und einmauern, um das eigene Elend auch nur auszuhalten Sodann wird er gegen eine juridische Logik ausgetragen, auf die sich die politischen Instanzen zurückziehen wollen, wenn sie Handlungsunfahigkeit für sich reklamieren.
Auch dies aber sind lediglich Reklamationen einer Schwäche, die mit ihrer Ohnmacht hausieren geht.
Doch ebenso wird dieser Konflikt um die Aufnahme der eigenen Fremdheiten in die Stadt geführt, wie Hans-Dieter Bahr schreibt, darum also, diese Fremdheiten nicht in Angleichungen zu ersticken.
Dieser Kampf ist erkennbar einer um die Urbanität, also um den städtischen Charakter der Stadt, sofern sie immer offene Stadt ist.
Er übersteigt nicht nur die Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Fremden.
Er übersteigt auch jede nur humanitäre Geste.
Denn er bringt die Offenheiten der Stadt selbst ins Spiel – strukturell, politisch ebenso wie künstlerisch und kulturell.
Es geht bei unserer Solidarität mit den Flüchtende also keineswegs darum, neue Wahrzeichen zu errichten, die etwa die eigene humanitäre Gesinnung repräsentieren würden.
Sehr wohl aber darum, Zeichen zu setzen, denn solche Zeichen sind heute von unschätzbarem Wert.
Sie markieren, dass es nicht weitergeht, wie es bislang ging.
Sie weisen ins andere, ins Offene, und verlangen Entscheidungen, die sich dem Offenen gewachsen zeigen könnten.
Bald sind diese Zeichen Orientierungspunkte, bald Wegmarken, bald Feldzeichen.
Alle Versuche, Europa zur Festung auszubauen, sind nämlich glücklicherweise zum Scheitern verurteilt.
„Lampedusa“ wiederholt sich überall – in Afrika, in Italien, in Deutschland, hier in Hamburg.
Der homogenisierte Raum, in den die sogenannte Globalisierung die Welt verwandeln wollte, wird von Rissen durchzogen Sie machen jede Festungsmauer brüchig, und zwar auch dort, wo sie sich im Innern unendlich wiederholen soll.
Oder ist es wirklich ein Zufall, dass dem Festungsausbau an den südlichen Grenzen Europas die Anstrengungen korrespondieren, das Innere dieser Festung in ein lückenloses System der Überwachung zu verwandeln?
In einen homogenen Raum der Kontrolle und Abfragbarkeit, der vom Finanzkapital beherrscht wird?
Den postkolonialen Regimes entsprechen die Kontrollgesellschaften, zu denen die kapitalistischen Weltzentren mutieren; zumindest haben beide einen gemeinsamen Fluchtpunkt, der ihnen von den Mächten des Globalen vorgeschrieben werden soll.
Dies gilt es zu unterbrechen, den Fluchtpunkt zu zerstreuen.
Und vielleicht wäre es auch deshalb wünschenswert, die Elbphilharmonie, dieses kommende Wahrzeichen Hamburgs, als Bauruine stehen zu lassen, nicht geschlossen, sondern offen nach allen Seiten hin und vielfach wendbar.
So sehr es heute deshalb vordringlich um das Schicksal der Flüchtenden geht, die hier in Hamburg nach neuen Lebensbedingungen verlangen, so sehr ist es doch ebenso unsere Sache, die hier verhandelt wird.
Und zwar nicht zuletzt eine Sache der Kunst, deren Inbegriff Offenheit und Öffnung sind – weshalb das gemeinsame Gespräch in dieser Hochschule auch am rechten Ort stattfindet.
Ich wünsche mir, dass es nicht abreißt.