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Zeichner des Jahres: Peter Butschkow

Unser Zeichner des Jahres ist Peter Butschkow, über Jahrzehnte blieb er uns glücklich erhalten und feiert nun in diesem August 80. (!) Geburtstag zwei neuen Büchern: Eins mit Cartoons und eines mit einem Bündel voller Kurzgeschichten wie der folgenden:

Die Sache mit der Jacke

Mit keinem Ereignis aus meinem Leben kann ich mehr punkten, als damit, dass ich mit meiner Band, den Team Beats Berlin, am 15. September 1965 im Vorprogramm des Auftritts der Rolling Stones in der Berliner Waldbühne gespielt habe. Mit uns von der Partie damals noch die Rockets, die Rivets und Didi und die ABC-Boys. Ich weiß noch, wie ich kurz vor Beginn auf der dunklen Bühne zu meinem Schlagzeug gehuscht bin, um noch mal den Klang meiner Snaredrum zu checken. Ich war nervös und wollte natürlich vor so einem riesigen Publikum auch ein bisschen angeben. Einen kurzen Schlag machte ich nur und erhielt daraufhin aus 20.000 rockdurstigen Kehlen ein gigantisches „ROOOOAAAAARRRR!“…

Nie wieder habe ich mit so wenig Einsatz einen so maximalen Erfolg erzielt. Zitternd bin ich wieder zurückgehuscht. 57 Jahre (!) später waren die Stones wieder in Berlin, genau in dieser Waldbühne, aber dieses Mal lief alles sehr fröhlich und friedlich ab.

1965 aber, bei ihrem ersten Auftritt, hatten die Zuschauer komplett die Waldbühne verwüstet. „Eine Million Schaden“ titelten die Berliner Gazetten. In der Redaktion der Jugendzeitung, für die ich damals arbeitete, zerbrach man sich den Kopf über diese verstörende Gewaltbereitschaft einer neuen Jugendkultur, sah die Ursachen in der Gesellschaft und ihren regionalen und globalen Spannungen und Krisen, zog eine Verbindung zum Vietmankrieg und dem Ost-West-Konflikt im besonderen. Auch die Berliner Mauer und die schlechte Laune der missmutigen Berliner Busschaffner mussten als Ursache für diesen Gewaltexzess herhalten.

Ich musste grinsen. Hätten sie mich mal gefragt, ich hätte ihnen für den Fall „Waldbühne“ eine simple Erklärung geben können, denn ich stand ja Backstage, hatte einen guten Überblick auf das Geschehen, und war Zeuge, wie plötzlich aus heiteren Himmel ein Typ – später nannte man solche Leute „Flitzer“ – quer über die Bühne schoss, hinterrücks Mick Jagger seine Jacke, die er gerade über seinem Kopf geschwenkt hatte, aus den Händen riss, und mit seiner Beute kopfüber wie in einen Pool in die wogende Zuschauermenge sprang. Dort stürzten sich die Fans wie Piranhas auf das Jäckchen und zerfetzten es in hundert Teile. Und Mick musste das hilflos mit ansehen. Vermutlich hatte er sich tags zuvor in der Carneby Street in dieses Teil verguckt, es vor allen Spiegel ausprobiert und es nach dem „You ́re looking good, honey“ seiner Freundin gekauft. Vielleicht hatte sie es auch bezahlt und ihm geschenkt? Eine Liebesgabe also? Oh, Mann.

Wie auch immer, Tatsache ist, dass sich Mick nicht nur heftig erschrocken hatte und heilfroh war, dass er in diesem Moment nicht in der Jacke steckte, sondern diese Performance eines wagemutigen Fans überhaupt und gar nicht gut fand. Er war stinkesauer und sann nach Rache, man sah es in seinem Gesicht. Als sie den letzten Titel gespielt hatten, ging das Licht aus und alle Steine rollten von der Bühne.

20.000 begeisterte Menschen tobten und formulierten den obligatorischen Wunsch nach Zugabe. Dieses kollektive, brüllende Verlangen erreichte die vergötterten Musiker von der feuchten Insel allerdings längst in ihren trockenen Taxen, die sie mit ihrer Entourage zurück ins Hotel brachten. Vermutlich ergötzten sich alle bei der Vorstellung, dass eine gewaltige Menschenmasse nach ihren schrie und schluchzte, in der Annahme, gleich würden wieder die Lichter und die Verstärker angehen und für sie noch einmal „Satisfaction“ gespielt werden. Vermutlich trällerte der rachetrunkene Mick zeitgleich fröhlich „You Can ́t Always Get What You Want“? Was dann folgte, ist die Geschichte von Enttäuschung, Wut und Zerstörung, ausgelöst durch den Raub eines Bekleidungsstückes. So profan kann die Ursache für einen Gewaltausbruch dieser Größenordnung sein. Aber das ist ja das klassische Muster aller Kriege.

 

80 Geschichten:
Anlässlich des achtbutschigsten Geburtstages (Jungfrau) schrieb der Autor dieses Kurzgeschichten-Feuerwerk, eine Special-Edition, dessen erster Auflage eine limitierte, nummerierte und handsignierte Cartoon-Postkarte beiliegt. Erschienen im Konkursbuch Verlag Claudia Gehrke
310 Seiten, Preis
16,00 Euro.


Ich Bin Eindeutig Zu Jung Für Mein Alter
Dieses Buch versammelt auf 176 Seiten neue sowie die besten Cartoons der letzten Jahre, pointierte Beiträge von Butschkow sowie auch Künstlerkollegen und einen Blick hinter die Kulissen.
Hardcover, farbig, 176 Seiten

In Cottbus. Aufgewachsen in Berlin-Tempelhof. Lehrjahr als Bleisetzer. Studium an der Akademie für Grafik, Druck und Werbung. Grafik-Designer in einer Werbeagentur, danach grafischer Freiberufler. 1979 Umzug ins Bergische Land in eine kleine Landkommune. Dort begann er als Cartoonist, Comiczeichner und Textautor. 1983–1988 in Hamburg. Seit 1988 lebt er an der nordfriesischen Küste.
Romane: „Rebecca, Roswitha und die wilden Siebziger“, „Wo ist Emilia?“. Cartoonbände u. a.: „Je älter man wird, desto komischer werden die anderen“, „Überleben mit Kindern“, gleichzeitig mit diesem Buch erscheint: „Ich bin eindeutig zu jung für mein Alter“ (alle Lappan Verlag) „Eine fröhliche Reise in die Zeit von Batik, Trampern und Tüten, in der echte Freundschaft noch gelebt und Abenteuer groß geschrieben wurden. Mit köstlichen Rückblenden.“ (Musenblätter zu „Rebecca …“) „…. voll bezaubernder Leichtigkeit … ein Lesevergnügen“ (Tagesspiegel)

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