Der Poet unter den Musikern
BOB DYLAN
Hippie-Ikone und Rockstar, Nobelpreisträger und Folksänger – Bob Dylan ist ein Chamäleon. Mehr als fünf Jahrzehnte nach Karrierebeginn ist der bald 76-Jährige (feiert am 24. Mai Geburtstag) noch immer ein ungelüftetes Rätsel …
Bob Dylan wird als Robert Allen Zimmerman im beschaulichen Duluth, Minnesota geboren. Den Künstlernamen nimmt er an, kurz vor seinen ersten Auftritten im New Yorker In-Viertel Greenwich Village. Und hier fängt das Mutmaßen an: Stammt der Name von dem walisischen Schriftsteller Dylan Thomas, den Bob sehr schätzte? Oder ist er eine alternative Schreibweise von Dillon, einer Figur aus der Western-Fernsehserie „Rauchende Colts“? Ist ihm der Name vielleicht einfach so eingefallen? Diese Erklärungsversuche kommen von Dylan selbst, der dafür bekannt ist, widersprüchliche Aussagen zur eigenen Person zu machen. Welche Variante auch stimmen mag: In NYC macht er sich schnell einen Namen als großes Talent der Folk-Musik und wird 1961 von Clive Davis für Columbia Records entdeckt. Sein Debütalbum verkauft sich allerdings so schlecht, dass Verantwortliche der Plattenfirma auf eine Vertragsauflösung drängen.
Zum Glück erkennt Country-Star Johnny Cash das Potential des damals 20 Jahre jungen Dylan und überzeugt das Label, ihm eine zweite Chance zu geben – die nutzt er und veröffentlicht im darauffolgenden Jahr „The Freewheelin‘ Bob Dylan“. Mit dieser Platte gelingt ihm der Durchbruch. Lieder wie „Blowing In The Wind“, „Masters Of War“ und „A Hard Rain´s A-Gonna Fall” machen ihn zum Idol der Bürgerrechtsbewegung und zusammen mit Joan Baez (heute 76) zum Helden des Folkrevivals. Am 28. August 1963 präsentiert Bob seine Protest-Songs im Rahmen des „March On Washington“, wenige Minuten bevor Martin Luther King auf derselben Bühne seine bekannte Rede „I Have A Dream“ hält.
1964 kommen zwei weitere Dylan-Alben auf den Markt. Während „The Times They Are A-Changin‘“ überwiegend politische Lieder enthält, ist „Another Side Of Bob Dylan“ persönlicher und lockerer. Im gleichen Jahr trifft der Songwriter erstmals auf die Beatles. Vor allem John Lennon betonte immer wieder den großen Einfluss, den Dylan – nach Chuck Berry – auf ihn und seine Musik hatte. Nicht nur musikalisch zeigt Robert Dylan, wie er seit 1962 offiziell heißt, den vier Jungs aus Liverpool neue Wege: Er ist es auch angeblich, der Paul, Ringo, John und George mit Marihuana vertraut macht und so den psychedelischen Rock der Fab Four möglich macht.
1965: Bob Dylan spielt E-Gitarre und veröffentlicht mit „Subterranean Homesick Blues“ den wahrscheinlich ersten Rap-Song aller Zeiten. „Bringing It All Back Home“, das fünfte Studioalbum, ist in zwei Hälften aufgeteilt – auf der ersten, elektrischen wird er von einer Band begleitet, auf der zweiten sind nur seine Stimme, Akustikgitarre und Mundharmonika zu hören. Viele Vertreter der Folkbranche fassen seinen musikalischen Wandel zum kommerziellen Rock als Verrat auf. Verehrung schlägt in Verachtung um. Am deutlichsten wird dies auf dem Newport Folk Festival: Nach einem bejubelten akustischen Set bringt Dylan seine Band auf die Bühne, spielt lauten Rock – und wird ausgebuht.
Der Legende nach war Pete Seeger, Urvater der Folkmusik und eines der Idole Dylans, so entsetzt, dass er mit einer Axt die Stromkabel durchtrennen wollte. Auch die Texte, die nun nicht mehr an Woody Guthrie oder Hank Williams sondern an Allen Ginsberg und Arthur Rimbaud erinnern, sorgen unter einigen Fans für Empörung und Enttäuschung. Doch Dylan lassen diese Reaktionen kalt. Unbeirrt verfolgt er den neu eingeschlagenen Weg. Auf seiner „Electric“-Tour (1965 bis 1966) begleitet ihn The Band: Robbie Robertson (73, Ges., Git., Piano), Rick Danko (†, Ges., B. Kontrab., Geige), Levon Helm (†, Ges., Dr., Perc., Mandol.), Richard Manuel (†, Ges., Key., Piano, Perc.) und Garth Hudson (79, Orgel, Sax.) lernen sich kennen, als sie für Ronnie Hawkins (heute 82, Ges., Piano) in dessen damaliger Gruppe The Hawks spielen.
Von 1970 bis 1975 veröffentlicht Dylan fünf Alben mit The Band (siehe Diskografie). Am 25. November 1976 feierte The Band unter dem Motto „The Last Waltz“ ihr Abschiedskonzert in der Winterland Halle in San Francisco. Neben 200 Truthähnen, 150 kg Lachs und 200 kg Kürbis – es war Thanksgiving – gab es ein klassisches Orchester, das Walzer spielte, sowie professionelle Tänzer. Zu den musikalischen Bühnengästen gehörten Bob Dylan, Ringo Starr, Ronnie Hawkins, Dr. John, Neil Young, Joni Mitchell, Van Morrison und Neil Diamond. Die Musiker spielten fünf Stunden lang und jammten nach dem Konzert im Hotel weiter: „Das Beste wurde weder gefilmt noch aufgenommen.“ Das vorhandene Material erschien 1978 als Film „The Band – The Last Waltz“ unter der Regie von Martin Scorsese.
1965 veröffentlicht Bob Dylan mit „Highway 61 Revisited“ sein wohl bekanntestes Album. Der Opener „Like A Rolling Stone“ wurde, trotz der damals ungewöhnlichen Länge von sechs Minuten, zur Hit-Single. Auf der selben LP befinden sich mit „Ballad Of A Thin Man“ und dem elfminütigem „Desolation Row“ zwei weitere Lieder, die zu den besten seiner Karriere zählen. Im selben Jahr starten die Byrds mit dem Dylan-Song „Mr. Tambourine Man“ durch – dabei ist ihnen die Nummer ursprünglich viel zu langsam. Zusammen mit Bob arrangieren sie den Song neu und fügen eine eingängige Melodie, gespielt auf einer 12-saitigen E-Gitarre hinzu. Ein Riesenerfolg!
Ein Jahr später, 1966, schließt Bob Dylan mit dem Doppelalbum „Blonde On Blonde“ (eine der ersten Doppel-LPs überhaupt) seine elektrische Trilogie ab – in nur 14 Monaten hatte er drei der einflussreichsten Alben der 60er aufgenommen, das Genre Folk-Rock mitbegründet und die populäre Musik für immer verändert. Es folgt eine Europa-Tour, auf der er, ähnlich wie in Newport, nach einem akustischen Solo-Set mit seiner Begleitband auftritt. Immer wieder kommt es zu Buh-Rufen des sich verraten fühlenden Publikums. Am 17. Mai dann der negative Höhepunkt: während der zweiten Hälfte eines Konzerts in Manchester ruft ein verärgerter Fan „Judas!“.
Dylan, cool wie immer, antwortet mit „I don´t believe you. You´re a liar“, weist dann die Band an, „fucking loud“ zu spielen und bietet eine unverschämt provokante und fast punkige Version von „Like A Rolling Stone“. Dieser legendäre Abend ist auf dem Live-Album „The Bootleg Series Vol. 4“ verewigt und geht als einer der zentralen Momente seiner Karriere in die Geschichte ein. Die äußerst kreative und produktive Phase der Mittsechziger findet ein abruptes Ende als Dylan, kaum von der nervenaufreibenden Europa-Tour zurück, einen schweren Motorradunfall erleidet und sich mehrere Halswirbel bricht – zumindest behauptet er das, die wahren Umstände des Unfalls wurden nie geklärt.
Es kursieren Gerüchte über den möglichen Tod des Songwriters, einige behaupten, er säße im Rollstuhl und könne nie wieder Gitarre spielen. Doch es besteht kein Grund zur Sorge – eineinhalb Jahre nach dem Unglück veröffentlicht der zurückgezogen lebende Dylan das erste seiner vielen Comebacks: „John Wesley Harding“, Studioalbum Nummer acht. Mit ihm kehrt der damals 25-Jährige zu seinen akustischen Wurzeln zurück, singt über amerikanische Volkshelden und Heilige. Das mysteriöse „All Along The Watchtower“ wird 1968 von Jimi Hendrix gecovert und zum Aushängeschild der Rockmusik.
Der elektrische Bob Dylan der Jahre 1965 und 1966 ist verschwunden und wird nie wieder zurückkehren. „Nashville Skyline“ von 1969, ein reines Country-Album, ist die vorerst letzte von Kritikern gefeierte LP. Nach dem 1970 erschienenen „Self Portrait“, von Dylan selbst als „Witz“ bezeichnet, fürchten viele das Karriereende des einstigen Wortführers einer ganzen Generation. Es erscheinen vier weitere Platten, die weit unter den Standards Dylans liegen. Der musikalischen Krise folgt eine familiäre: Die Beziehung zu seiner Frau Sara Dylan, mit der er seit 1966 verheiratet ist und vier Kinder hat, beginnt zu zerfallen.
Der Songwriter verarbeitet seine persönlichen Probleme auf dem 1975 veröffentlichten Album „Blood On The Tracks“. Es markiert das zweite Comeback. Lieder wie „You´re A Big Girl Now“, „If You See Her, Say Hello“ und „Tangled Up In Blue” erzählen von seinem Verhältnis zu Sara – auch wenn Bob das in einigen Interviews leugnet. Zu alter Form zurückgefunden, bricht er auf eine erfolgreiche Konzerttour auf, die „Rolling Thunder Revue“. Dabei wird er u. a. von seiner ehemaligen Liebhaberin Joan Baez, der Sängerin Joni Mitchell, dem Beat-Poeten Allen Ginsberg, Mick Ronson und Roger McGuinn (The Byrds) unterstützt.
Der Tross spielt in kleinen Clubs, oft werden die Konzerte nur wenige Tage vorher angekündigt. Ein Jahr später, 1976, kommt mit „Desire“ das 17. Studioalbum in die Läden. Auf diesem ist das Lied „Hurricane“ zu finden, welches vom Schicksal des afroamerikanischen Boxers Rubin Carter erzählt. Aus rassistischen Gründen wurde dieser, obwohl unschuldig, des Mordes angeklagt und zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Dank des neun Minuten langen Protestsongs wurde ein breites Publikum auf diese Ungerechtigkeit aufmerksam und Carter schließlich freigelassen. Nachdem er sich 1977 von seiner Frau Sara geschieden hat, findet der als Jude geborene Dylan 1978 zum Christentum. Ausschlaggebend dafür soll ein kleines silbernes Kreuz gewesen sein, das ein Zuschauer während eines Konzerts auf die Bühne warf.
Seine neuen religiösen Überzeugungen dominieren die nächsten drei Alben, die sehr Gospel-lastig sind und dazu führen, dass einige Kritiker und Fans von einer erneuten künstlerischen Krise sprechen. Auch „Knocked Out Loaded“ und „Down In The Groove“, beide in den späten 80ern veröffentlicht, werden verrissen und als „entsetzlich“ oder „Karrierekiller“ bezeichnet. Als am 13. Juli 1985 das Benefizkonzert Live Aid zu Gunsten Afrikas stattfindet, maßgeblich von Bob Geldof aus Anlass der damals akuten Hungersnot in Äthiopien organisiert, tritt Mick Jagger solo ohne die ebenfalls anwesenden Keith Richards und Ron Wood auf. Diese spielen zu dritt mit Bob Dylan im John F. Kennedy Stadium in Philadelphia. Während „Blowin’ In The Wind“ reißt Bob eine Gitarrensaite. Keith reagiert schnell und händigt ihm sein Instrument aus. „That was the day I played air guitar for a billion people“, erinnert sich der Stones-Gitarrist.
Von 1988 bis 1990 übernehmen die Traveling Wilburys, eine Supergroup bestehend aus Nelson Wilbury (†, George Harrison, Git, Ges.), Otis Wilbury (69, Jeff Lynne, Git., B., Key., Ges.), Lucky Wilbury (Bob Dylan, Git., Mundharm. Ges.), Charlie T. Jnr. (66, Tom Petty, Git., B., Ges.) und Lefty Wilbury (†, Roy Orbison, Git., Ges.). Resultat der Zusammenarbeit sind zwei Studioalben („Traveling Willburys Vol. 1“ 1988, „Traveling Wilburys Vol. 3“ 1990) und Singles vom Schlage „Handle With Care“. Erst 1989 kann Elston Gunnn, wie er sich in frühen Tagen auch nannte, mit „Oh Mercy“ an die Qualität seiner erfolgreichsten Platten anknüpfen.
„Time Out Of Mind“ gewinnt 1997 den Grammy für das beste Album des Jahres, die 32. Studioveröffentlichung „Modern Times“ steht 2006 in acht Ländern ganz oben in den Charts. Die letzten drei LPs, „Shadows In The Night“, „Fallen Angels“ und das Ende März 2017 veröffentlichte „Triplicate“, enthalten keine von Dylan selbst geschriebenen Songs, sondern ausschließlich Coverversionen von Klassikern aus dem „Great American Songbook“. Seit 1988 befindet sich Bob mit seiner Band auf der „Never Ending Tour“ und spielt durchschnittlich ca. 100 Konzerte pro Jahr.
Wenn er nicht auf den Bühnen der Welt unterwegs ist, beschäftigt sich Dylan mit anderen Künsten: Seine Aquarelle, Zeichnungen und selbstgeschweißten Gartentore wurden u. a. in London ausgestellt. Am 11. April 2017 gastierte der Meister in der ausverkauften Hamburger Barclaycard Arena. Zwei Stunden lang präsentierte er Klassiker („To Ramona“, „Tangled Up In Blue“) und Coverversionen von Sinatra-Songs oder amerikanische Standards, begleitet von Tony Garnier (B.), Donnie Herron (Pedal Steel, Banjo, Mandol.), Stu Kimball (Git.), George Receli (Dr.) und Charlie Sexton (Git.).
Dylan ist aufgrund seines Werkes und Wirkens so wichtig, wie kaum ein Zweiter für die Musik des 20. Jahrhunderts. Mit mehr als 120 Millionen verkauften Tonträgern gehört er zu den erfolgreichsten Musikern überhaupt: 42 Grammys, Oscar, Pulitzer-Preis, Golden Globe und die Presidential Medal of Freedom sind nur einige Preise. Im Oktober 2016, als ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen wurde, war Dylans Reaktion? Erstmal gar keine. Vom Künstler unkommentiert hält sich übrigens auch seit Jahren das haarsträubende Gerücht, Dylan hätte sein Geld in Kriegsanleihen angelegt … Eines ist klar: Bob Dylan gilt zu Recht – neben Chuck Berry – als der Poet unter den Musikern!
Lucas Pietrapiana & KMS
Diskografie (Studioalben *mit The Band):
1962 – Bob Dylan
1963 – The Freewheelin’ Bob Dylan
1964 – The Times They Are A-Changin’
1964 – Another Side Of Bob Dylan
1965 – Bringing It All Back Home
1965 – Highway 61 Revisited
1966 – Blonde On Blonde
1967 – John Wesley Harding
1969 – Nashville Skyline
1970 – Self Portrait*
1970 – New Morning
1972 – Tribute To Woody Guthrie*
1973 – Pat Garrett & Billy The Kid
1973 – Dylan
1974 – Planet Waves*
1974 – Before The Flood*
1975 – Blood On The Tracks
1975 – The Basement Tapes*
1976 – Desire
1978 – Street Legal
1978 – Masterpieces*
1979 – Slow Train Coming
1980 – Saved
1981 – Shot Of Love
1983 – Infidels
1983 – Electric Lunch*
1985 – Empire Burlesque
1985 – Biograph*
1986 – Knocked Out Loaded
1988 – Down In The Groove
1989 – Oh Mercy
1990 – Under The Red Sky
1991 – Bootleg Series Vols. 1-3*
1992 – Good As I Been To You
1993 – World Gone Wrong
1997 – Time Out Of Mind
1998 – The Bootleg Series Vol. 4: Live 1966*
2001 – Love And Theft
2001 – Live 1961-2000*
2006 – Modern Times
2009 – Together Trough Life
2009 – Christmas In The Heart
2012 – Tempest
2015 – Shadows In The Night
2016 – Fallen Angels
2017 – Triplicate
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