Wer ist eigentlich diese Musikerpolizei?
Uneingeweihte haben sicherlich ein etwas verzerrtes Bild von dieser illustren Vereinigung; Schnell stellt man sich eine gewalttätige Horde von Anzug tragenden „Matrix“-Agenten vor, die plötzlich auf Punk-Konzerten auftauchen, um Bandmitglieder festzunehmen, weil sie ihre erbärmlichen drei Akkorde ständig verwechseln. Die Anklage würde lauten: „Sie, Mitglieder der Band Die AusverkauftenGehirne, sind angeklagt mehr als vier Songs übermäßig alkoholisiert gespielt zu haben. Darüber hinaus wird Ihnen vorgeworfen, Ihre Instrumente mutwillig nicht gestimmt zu haben. Außerdem fehlt auf dem Bass die G-Saite. Da Sie in den letzten Jahren schon mehrfach aufgefallen sind, und der Anklage nichts entgegen zu setzen haben, verurteile ich Sie zu einem Jahr Musikschule und vier Monaten Gitarrenstimmen in einem Gitarrenladen. Außerdem sehe ich mich genötigt, Ihnen einen Bewährungshelfer zuzuteilen. Er wird bei Ihren Proben dabei sein, damit so etwas Schreckliches nie wieder passiert. Achja, eine Sache noch, suchen Sie sich einen neuen Bandnamen!“
Na gut, dies ist natürlich etwas übertrieben, denn die Musikerpolizei ist passiv und arbeitet eher im Flüsterton. Sie ist in jedem Musikstil verbreitet – natürlich im Jazz mehr, als im Punk – aber was alle Mitglieder verbindet, ist eine überkritische Beurteilung der musikalischen Fähigkeiten anderer. Klar sind es meist selber ganz gute Instrumentalisten; eben die Leute, die andere Musiker in Verlegenheit bringen und ihnen die Schweißperlen auf die Stirn treiben, wenn sie von der Bühne aus im Publikum erspäht werden; eben die Leute, die man nach dem Gig großflächig umgeht, um sich keinen vernichtenden Kommentar abzuholen; und die Leute, die immer etwas auszusetzen haben, egal wie gut man war …
Keine Sorge, die Muckerpolizei – wie sie auch genannt wird – ist harmlos. Aber ansteckend! Das Phänomen ist weit verbreitet, denn jeder hat sich bestimmt schon mal dabei erwischt, wie er einer jungen Band mit konstruktiver Kritik etwas Sinnvolles mit auf den Weg geben wollte. Natürlich fällt es da nicht immer leicht, die richtigen Worte zu finden, aber stigmatisiert ein nettes, gut gemeintes „Ey, du solltest echt nicht singen“, einen denn sofort zum Muckerpolizisten? Ein wenig übereifriges Fachsimpeln ist nicht verboten, denn darüber definiert sich der ambitionierte Musikliebhaber. Trotzdem läuft man schnell Gefahr, den Blick für das Gesamte zu verlieren. Sind es denn wirklich die technischen Aspekte in der Musik, die eine Gruppe zu einer guten Band machen? Sicher kann Steve Vai besser Gitarre spielen, als Neil Young. Aber kommt es darauf an, technisch perfekt zu sein? Scheinbar hat die Musikerpolizei so etwas wie einen Emotionsfilter – sie sieht es als ihre Aufgabe an, auf Fehler hinzuweisen, die sonst keiner bemerken würde; was könnte schöner sein, als eine ruhige, emotionale Passage im Konzert, ohne ein etwas zu lautes: „Der muss unbedingt mal seine Gitarre stimmen.“
Mal ehrlich, eigentlich ist es eher eine Krankheit die unter Musikern weit verbreitet ist. Sie können nicht abschalten, sie müssen zwanghaft analysieren. Insgeheim beneiden sie den Normalhörer – auch sie würden die Musik gern wieder wie früher wahrnehmen, als alles noch spannend und neu war und sie durch undefinierbare Klangwelten schwebten. Fern von 6/8 Takt, Moll-Parallele und 3er Verschiebung. Zurück in die Zeit, als der Bassist noch der Typ mit der großen Gitarre war …
Ein wenig musikalischer Anspruch heißt noch lange nicht, dass man das Recht hat, andere für ihre Fähigkeiten und ihren Geschmack zu verurteilen. Musik ist so vielfältig wie unsere Kulturen, und was für die Einen wunderschön klingt, klingt für Andere grauenhaft. Was wir brauchen, ist mehr Toleranz für Andersartigkeit. Was natürlich nicht heißen soll, dass wir auf einmal alles gut finden müssen. Musik ist kein Wettkampf, Musik ist Kommunikation und definiert eine starke Gruppenzugehörigkeit sowie Identität. Heutzutage ist Musikgeschmack eben auch ein Statement. Wir dürfen nur nicht vergessen, dass wir alle das Selbe lieben! Das Streiten und Diskutieren über Musik macht mehr Spaß, wenn man sich selbst nicht allzu ernst nimmt. Und vielleicht könnte es einen Versuch wert sein, beim nächsten Konzertbesuch die Musikerohren an der Garderobe abzugeben … MaWi