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Agi, der Engel der Reeperbahn

Keiner kennt den Kiez so wie sie: Agathe „Agi“ (59) ist ein Urgestein auf Hamburgs legendärer Partymeile und hat Geschichten auf Lager, die ihr euch nicht mal im Traum ausdenken könntet. Nicht nur die Clubs besitzen ihr Herz; vor allem für Obdachlose und Bedürftige setzt sich die gute Fee  mit polnischen, russischen, holländischen und italienischen Wurzeln mit aller Kraft ein. Als Sozialpädagogin und Bardame in der „Maria Bar“ ist sie seit 2011 auf St. Pauli unterwegs und ist für jeden da, der sie braucht. OXMOX sprach mit dem „Froschengel“, ein Wink auf ihren ziemlich coolen grünen Teddymantel, über den Kiez von all seinen Seiten und soziale Brennpunkte in Hamburg.
Mit Zigarette, Sonnenbrille und einem breiten Lächeln begrüßt uns Agi bei der Kiezmahnwache, für die sie sich tatkräftig einsetzt. Für die 59-jährige ist jeder sofort „Mein Schatz!“, so auch wir. Sympathisch, man muss sie einfach mögen. Ihre freundliche Art ist nur eine der vielen Facetten des Energiebündels; mit viel Humor erzählte sie uns etwas über ihr bewegtes Leben und wir hörten gespannt zu…
2011 kam die Powerfrau von Nordrhein-Westfalen hierher. Mit dem Segelboot fuhr sie durch Skandinavien, weiter nach Stetin und erreichte von dort per Zug den Hamburger Hauptbahnhof. Eigentlich wollte sie weiterreisen, aber nach zwei Alsterwasser mit der Bedienung von einer Kneipe, in der sie saß, bot diese ihr einen Job an und so schnupperte Agi das erste Mal Kiezluft. Die gute Fee ist überall auf der Welt Zuhause, sie selbst bezeichnet sich als „Mischling“. „Meine Oma mütterlicherseits kommt aus Litauen und meine Mutter ist in Stetin geboren. Ihr Vater ist Niederländer und meiner Italiener. Meine Kinder sind deutsch, ohne mich zu fragen“; erzählt sie lachend. Ihre Tochter und ihr Sohn sind in Düsseldorf geboren, denn ihr kürzlich verstorbener Mann war Deutscher.
Die ausgebildete Sozialpädagogin ist immer neugierig darauf, neue Menschen kennenzulernen und kümmert sich oft um Hamburgs Obdachlose. „Ich frage niemanden, warum er auf der Straße lebt, das macht man nicht. Ich gucke, ob sie etwas brauchen oder in ihrem Leben ändern möchten. Manchmal reicht es auch einfach, zu sagen, dass es schön ist, denjenigen zu sehen.“ Auch durch ihre Arbeit in „Marias Bar“ auf St. Pauli entstehen viele Bekanntschaften, davor jobbte sie in der „Hans-Abels-Klause“. Die meisten Obdachlosen kennt sie persönlich und arbeitet gezielt mit ihnen zusammen. „Wenn sie z.B. Essen oder Kleidung brauchen. Viele sind leider auch abhängig, dann besorge ich ihnen Zigaretten oder Alkohol; oft bekomme ich angebrochene Flaschen von Bekannten, die ich dann benutzte. Drogen kann ich natürlich nicht besorgen. Viele vergessen aber, dass ein Mensch nicht nur Wasser und Brot braucht, sondern Nähe!“ Die meisten Menschen freuen sich sehr, wenn man sie einfach mal begrüßt und sich mit ihnen unterhält, um ihnen zu zeigen, dass sie dazugehören und nicht allein sind. Auch die Berührungsängste, die viele Leute ihnen gegenüber zeigen, ist für sie schlimm. Agi würde sich von den Hamburgern mehr Respekt und Akzeptanz wünschen. „Die Leute sollten aufhören, immer so doof zu glotzen, jeder Mensch hat seine Fehler!
Als Sozialarbeiterin arbeitet sie viel mit Kindern zusammen. „Ich liebe Kindern und ich denke, sie sind unsere Bereicherung.“ Was ihr am Kiez besonders gefällt ist der Zusammenhalt. Laut Aggi leben Kinder und Frauen hier sehr behütet. Auch die Prostituierten können sich auf Schutz und Selbstbestimmung verlassen. „Die Mädchen sind kein Wild und dürfen immer selbst entscheiden!“ Beim Thema Kinder betont die Powerfrau, dass viele gerade mit dem beengten Raum in ihren Wohnungen zu kämpfen; auch häusliche Gewalt ist leider ein Thema, dass immer präsenter wird. „Ich kenne einen Arzt hier in Hamburg, der seit 25 Jahren in seinem Beruf arbeitet und zu mir meinte, dass er noch nie so viele verletzte Kinder auf der Station hatte wie jetzt.“ Sie selbst setzt sich stark dafür ein, den Kindern das Leben momentan ein bisschen leichter zu machen und trägt sogar Masken mit kleinen Spielzeugen, um den Kleinen die Angst zu nehmen. Oft geht sie mit ihnen auf den Spielplatz oder schaut bei sozialen Einrichtungen vorbei, so auch bei einem Kickbox-Verein für Jugendliche, bei dem sich alle mal austoben dürfen, ohne dafür zu bezahlen. Als dort letztens immer wieder ein Polizist auftauchte und den Kindern Angst machte, verjagte Agi ihn prompt. „Den habe ich angezeigt und jetzt ist er tatsächlich weg. Darauf bin ich sehr stolz.
So engagiert wie die coole Bardame ist längst nicht jeder; sie würde sich mehr Einsatz von der jüngeren Generation wünschen. „Die meisten hängen nur vorm Handy oder Computer.“ Sie selbst hat weder ein Smartphone noch Social Media, weil sie die Menschen lieber persönlich kennenlernt. Dadurch entstehen schließlich die geilsten Geschichten und davon hat Agi jede Menge auf Lager:
Letztens stand ich auf dem Kiez vor einem Stripclub, als auf einmal ein 35-jähriger Tscheche auf mich zukam und ganz nett fragte: „Entschuldigung, arbeiten Sie hier?“ Ich hab gesagt: „Nein, mein Schatz, ich bin in Rente und meine Mädchen sind alle im Urlaub.“ (lacht) Zur Entschuldigung hat er mich auf einen Drink eingeladen und wir haben zwei Stunden lang gequatscht! Sonst gibt es auch noch viel über meinen Opa zu erzählen! (lacht) Er ist 105!“ Sein Geheimnis für ein langes Leben: „Er hat immer gut geraucht und getrunken! Er geht immer drei Mal die Woche in eine Kneipe und hat dort vor einiger Zeit zwei Mädels kennengelernt, Mareike und Edith. Er war damals 100, Mareike war 89 und Edith 92. Eines Tages ruft er mich bei der Arbeit an und sagt: „Ich hab mich entschieden! Ich nehm die Mareike, die andere ist mir zu alt.“ (lacht)
RS&JF

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