Kreator aus Essen wird in diesem Jahr 40. Das Quartett Mille Petrozza, 54, hat weltweit zwei Millionen Tonträger verkauft, alle bedeutenden Festivals des Genres gerockt und 15 Studioalben aufgenommen. Kreators letztes Werk knackte in Deutschland die Nummer 1. Das neueste heißt ,,Hate über alles“.
Die Demos zum neuen Album hast Du mit Markus Ganter ausgearbeitet. Er hat Indie-Acts wie Casper, Tocotronic produziert- Wilderst Du gern in fremden Genres?
Miland ,,Mille“ Petrozza: Markus ist ein musikbegeisterter Typ, der keine Genregrenzen kennt. Wir kommen auf einer künstlerischen Ebene sehr gut miteinander aus. Anfangs war geplant, mit ihm und Arthur Rizk aus Amerika das Album umzusetzen. Leider hatte Markus den ganzen Sommer über mit österreichischen Band Bilderbuch zu tun. Schade, aber er konnte mit sehr viel beim Arrangieren der Songs helfen. Und am Ende war es ein großes Erlebnis, mit Arthur Rizk zu arbeiten.
„Sergio Corbucci is dead“ mit dem Gastsänger Drangsal klingt wie eine musikalische Hommage an den Regisseur von Kultwestern wie ,,Django“ und „Leichen pflastern seinen Weg“.
Petrozza: Sergio Corbucci hat in seinen Filmen immer eine politische Haltung vertreten, indem seine Protagonisten sich oft gegen Unterdrücker auflehnten. Viele Musiker drücken ihre Haltung zu bestimmten Dingen nicht gern öffentlich aus. Sie haben Angst, Fans zu verlieren. Corbuccis Filme waren immer sehr brutal, und das mochte ich.
Reale Gewalt hingegen lehne ich extrem ab. Egal ob es die Ohrfeige von Will Smith ist oder dieser sinnlose Krieg in der Ukraine. Das absolute Grauen! Viele unterdrücken ihre Gefühle – auch ihre Aggressionen – so stark, dass sie nach zu viel Alkoholgenuss Fensterscheiben einschlagen. Ich finde, man sollte sich seinen Emotionen stellen. Mit Hass habe ich allerdings Probleme. Es raubt mit zu viel Energie, jemanden zu hassen.
,,Hate über Alles“ ist eine Anspielung auf die antifaschischistische Dead-Kennedys-Hymne ,,California über alles“. Was verbindet Dich mit dieser legendären Punkband?
Petrozza: Erstens ist das eine Band meiner Jugend. Auf der anderen Seite funktioniert die Phrase ,,über alles“international. Viele werden sich dabei an die Dead Kennedys erinnert fühlen, für andere ist es vielleicht ein bisschen ,,edgy“. Der Text dreht sich um Kommunikation, um die Art und Weise, wie wir heutzutage miteinander reden. Wenn ich eine andere Meinung habe als mein Gegenüber, werde ich gleich angeschrien, anstatt mit mir in den Diskurs zu gehen. Wir erleben gerade, wie die virtuelle und die analoge Realität ineinander über gehen.
Kannst Du ein Beispiel dafür nennen?
Petrozza: Ich war hier in Berlin auf der 1.-Mai Demonstration. In erster Linie ein super schönes und friedliches Straßenfest, natürlich mit einem großen Polizeiaufgebot. Und am nächsten Tag sah man in der Tagesschau auf Facebook ein Foto von Polizisten mit Schutzschildern: ,,37 Festnahmen bei der Demo zum 1.Mai“! Und ganz klein darunter: ,,Die friedlichste 1.Mai-Demo jemals“. Daran sieht man, wie man Menschen manipulieren kann und Meinung macht. In der Kommentarenspalte hieß es daraufhin: ,,Da müsste man viel härter durchgreifen!“ Aber in Wahrheit war es in erster Linie friedlich. Diese Art von Kommunikation darf man nicht ungefiltert in seine Realität einfließen lassen.
Wie gehst Du mit Hassgefühlen um?
Petrozza: Für Aggressionsabbau ist Sport bei mir ganz wichtig. Ich mache auch Yoga. Ich möchte nicht ein Opfer dieser permanenten Berieselung sein. Angst erzeugt ja auch Hass. Es ist viel einfacher, sich gegen als für etwas einzusetzen. Was zurzeit in der Ukraine passiert, ist eine menschliche Katastrophe. Dennoch ist das nichts Neues, weil ja die ganze Zeit über Kriege stattfinden. Dieser ist nur viel näher an uns dran als andere. Ironischerweise hätten unsere ersten Konzerte nach der pandemiebedingten Pause in Kiew, Moskau und St.Petersburg stattfinden sollen. Niemand möchte diesen Krieg. Ich kenne einen ukrainischen Kollegen, der jetzt an der Front steht mit einem Gewehr. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir Künstler uns vorstellen.
Für Lars Ulrich von Metallica sind Kreator eine „altmodisch durchgeknallte deutsche Extrem-Band (taz). Würdest Du ihm zustimmen?
Petrozza: Also altmosich schon mal gar nicht! Lars Ulrich ist jetzt bestmmt nicht der größte Kreator-Fan, ich weiß es aber, das Robert Trujillo ein großer Anhänger von uns ist. Ich bin ja auch ein großer Metallica-Fan. Ich lass das jetzt einfach mal so stehen; es ist ja irgendwo auch ein Kompliment. Das ,,altmodisch“ streichen wir aber, denn Metallica gibt es schon eine Ecke länger als uns. Wir haben auch noch keine Countryalben aufgenommen. (lacht)
Die US Army soll Metallica-Songs verwendet haben, um in Guantanamo irakische Kriegsgefangene und in Afghanistan Talibankämpfer zu foltern. Mit welcher Musik könnte man Dich zermürben?
Petrozza: Mit gar keiner; ich kann jeder Musik etwas abgewinnen. Ich glaube, die Folterer spielen da ein Lied in Dauerschleife bei extremer Lautstärke.
Kennst Du Lars Ulrich eigentlich persönlich?
Petrozza: Ja, ich habe ihn mal kennengelernt. Lars ist ein sehr netter Typ. Wir haben uns über dänische Filme unterhalten.
Und wie entstehen Deine Alben?
Petrozza: Nach einer Tournee wird es mir immer langweilig und ich nehme irgendwelche Riffs mit dem Handy auf. Die arbeite ich dann in verschiedenen Studios mit verschiedenen Leuten zu Demos aus. Für das neue Album ,,Hate über alles“ hatte ich insgesamt 20 Songs. Und allein vom Titelsong gab es zehn verschiedene Versionen.
Du lebst vegan. Hat die Hippiebewegung Deine Lebenseinstellung geprägt?
Petrozza: Die Ideen dieser Bewegung hallen bis heute nach. Hippie ist für mich kein Schimpfwort. Hippetum bedeutet nichts anderes, als das System und die gängigen Normen infrage zu stellen, eigene Ideen zu entwickeln und zu leben. Das ist in den 1970er Jahren auch den Punk und andere Lebenseinstellungen bzw. damit verbundene Musikgenres gleichgesetzt. Ich weiß aber gar nicht, ob ich Hippie Punk oder Metalhead bin. Meine musikalische Sozialisation beinhaltet das alles. Wir leben hier in einer Gesellschaft, wo es möglich ist, sich ausgewogen vegan zu ernähren. Das ist auch ein politisches Statement. Man lehnt den Konsum bestimmter Produkte ab und rettet die ausgebeutete Tierwelt. Ich möchte auf keinen Fall Massentötung unterstützen. Es gibt aber auch Plätze auf der Erde, wo die Leute das essen müssen, was da ist. Wahrscheinlich bin ich ein Hippie, okay, ich gebe es offen zu. (lacht) Letztens sah ich mir ein altes Video von Black Sabbath an, das waren eindeutig Hardrock-Hippies. Und daraus ist dann Metal enstanden. Es gibt unglaublich viele Parallelen.
Kiss sind gerade auf Abschiedstournee. Wie kann man als harter Rocker in Würde altern?
Petrozza: Wie Mick Jagger oder Neil Young. Es ist wichtig, dass du noch die Energie rüberbringst, egal in welcher Form. Natürlich muss ich in meinem Alter mehr darauf achten, körperlich fit zu bleiben. Die Eskapaden von früher gehen heute nicht mehr. Ich war nie von irgendetwas abhängig, aber ich habe in meiner Sturm- und Drangphase Gas gegeben. Wenn ich heute drei Gläser Wein trinke, erlebe ich am nächsten Tag ein Nachbeben im Kopf. Und das möchte ich nicht mehr.
Ein Getriebener der eigenen Kunst?
Petrozza: Darum ging es mir schon immer. Wir haben uns bei Proben vielleicht ein Eis gekauft oder Lakritze, aber nie ein Bier. Die Musik war uns auch immer genug. Es hört sich vielleicht ein bisschen langweilig an, aber wir waren immer nüchtern bei den Proben und Konzerten. Wenn du diese Art von Musik einmal begriffen hast, dann weißt du ganz genau: du kannst nicht besoffen oder auf Drogen auf die Bühne gehen. Es ist vorprogrammiert, dass du dann versagst.
Glaubt man Ozzy Osbournes Autobiographie, dann war sein Leben ein permanenter Tanz auf dem Vulkan.
Petrozza: Ozzy hatte das Glück, Sharon getroffen zu haben. Sie hat ihn aus dem Drogensumpf rausgezogen. Manche nehmen lange Drogen und werden 80 Jahre alt. Wir sind diverse Male mit Ozzy aufgetreten. 2018 spielten wir auf seinem Ozzyfest in Los Angeles. Man respektiert sich gegenseitig und will sich nicht auf die Nerven gehen. In der Silvesternacht auf 2019 habe ich Ozzy noch einmal gesehen, und da ging es ihm gut. Sein letztes Album war großartig, weil sein Produzent ihm eine Frischkellenkur verpasst hat.
Wann sollte man in Deinem Job aufhören?
Petrozza: Da gibt es keine Regeln. Man sollte es so lange machen, bis man umkippt. Ich fände es tragisch, wenn Leute einfach aufhören, weil sie keine Lust mehr haben.