Den perfekten Song gibt es nicht
Joe Bonamassa hat in den vergangenen 21 Jahren sagenhafte 45 Alben veröffentlicht. Im Februar ging der umtriebige Gitarrist und Sänger in die Germano Studios in New York, um mit zwei Begleitern Musik zu machen, die nicht nach einem Trio klingt. Joe Bonamassa, 44, sprach über Kreativität in Krisenzeiten und darüber, wie es sich anfühlt, vor Jeff Beck, Jimmy Page, Slash, Pete Townshend und Brian May zu spielen.
Guten Tag, Mr. Bonamassa. How are you?
Joe Bonamassa: Gut. Entschuldigung, ich muss noch schnell eine Nachricht an Glenn Hughes verschicken. Er spielt heute in New York City 18 Blöcke von meiner Wohnung entfernt. Ich will ihm zum 70. Geburtstag gratulieren und sagen, dass ich in der Stadt bin.
Wie bist du mit den Unsicherheiten in der Krise umgegangen?
Die hatte ich nicht wirklich, weil ich in der Musikbranche erfolgreich bin. Ich habe keine finanziellen Sorgen. Es wäre furchtbar für mich, zu Hause herumsitzen zu müssen.
Dein Produzent Kevin Shirley saß aufgrund von Corona-Reisebeschränkungen in Australien fest. Wie hat er es geschafft, Kontinente und Konsolen miteinander zu verbinden?
So wie wir das jetzt auch machen: mit Zoom-Gesprächen. Die Konsolen hier in den Germano Studios waren mit seinen Konsolen in Australien via Internet und einer Sekunde Verzögerung verbunden. Kevin konnte sich so meine neuen Tracks wunderbar anhören. Ziemlich außergewöhnlich! Es hat gut funktioniert, aber ich muss das nicht noch einmal haben … Wenn man sonst so Platten macht wie ich, bei denen Menschen zusammen in einem Raum spielen, braucht es zwei oder drei Takes, um etwas Magisches hinzubekommen. Musik hat nicht die gleiche Wirkung, wenn sie zu sauber klingt … Ich nehme immer akustische Demos mit meinem Smartphone auf. Die arbeiten wir dann ihm Studio gemeinsam aus. Diese rohe Form erlaubt es uns Musikern, wie Maler vor einer leeren Leinwand zu stehen. Ich möchte, dass meine Begleiter die Möglichkeit haben, sich selbst einzubringen.
Auch die Texte mit dem Smartphone?
Nein. Ich schreibe nach wie vor mit der Hand. In der Hinsicht arbeite ich ziemlich analog.
Geht es dir um den perfekten Song?
Ich glaube nicht, dass es so etwas wie den perfekten Song gibt. Das Rolling Stone Magazin kann mal wieder nicht anders und bringt eine neue Liste der größten Songs aller Zeiten heraus, wobei einige Klassiker ausgelassen werden, weil die kuratierte Liste hip aussehen soll. Aber die Leute wollen hören, was sie hören wollen. Es gibt kein Bestes oder Schlechtestes. Solch ein Ranking ist völlig subjektiv.
Kannst du an jedem Ort schreiben?
Klar, ich könnte heute einen Song im Park schreiben, wenn ich wollte. Man schreibt Lieder, die einem hoffentlich etwas bedeuten. Das ist etwas, das mir mit zunehmendem Alter immer wichtiger geworden ist. Wenn man jung und naiv ist, kann man ein Rezept für eine Suppe in Bluesform verkaufen. Ich kann heute jedoch nicht mehr darüber singen, dass ich ein hungriger Bluesmusiker bin. Denn das bin ich nicht. Ich lebe an der Upper West Side in Manhattan am Central Park West. Ich habe schon zu Mittag gegessen und bin auch nicht pleite.
Du hast an Alice Coopers aktuellem Album „Detroit Stories“ mitgewirkt. Wie war es?
Ich liebe Alice! Es war auch toll, mit dem Produzenten Bob Ezrin zu arbeiten. Bob ist der Co-Autor von „Slow Gin“, einem meiner erfolgreichsten Songs. Die Geschichte mit Alice liegt aber schon zwei Jahre zurück. Die Zeit vergeht wie im Flug!
„Live from Nerdville with Joe Bonamassa“ ist der Name deiner eigenen Talkshow auf YouTube. Wer von den mehr als 70 Interview-Partnern hat dich am meisten beeindruckt?
Ich hatte jeden von Brad Paisley über Paul Stanley bis zu John Mayall. Ich interviewe gerne Menschen mit einer interessanten Geschichte. Wenn sie ihr neuestes Ding promoten wollen, ist das in Ordnung, aber das ist nichts, worüber ich sie befragen möchte. Am inspirierendsten war bislang Jason Becker. Er spielte Gitarre für David Lee Roth, bis er Probleme mit seinem Bein bekam. Er fand heraus, dass er fortgeschrittene ALS hatte. Jason ist 50 Jahre alt und hat diese Krankheit, seit er 19 war. Er ist an den Rollstuhl gefesselt und kann nur noch blinzeln. Auch wenn er sie nicht mehr spielen kann, liebt er immer noch die Gitarre.
Was hast du bei deinen Interviews herausgefunden?
Es spielt keine Rolle, ob man in der Rock and Roll Hall of Fame ist oder 50 Grammys gewonnen hat – jeder fängt in seinem Schlafzimmer an, Musik zu hören. Oder der Vater oder die Mutter machen Musik. Alle Berühmtheiten oder Musiker fingen wahrscheinlich vor dem Spiegel an, ihre Dankesrede zu üben oder sich einzubilden, Mick Jagger oder Tina Turner zu sein. Ich spiele aber nicht mit harten Bandagen, wenn ich Freunde interviewe. Ich könnte es, aber das wäre unfair.
Du warst eine Zeit lang Johnny Rottens Nachbar. Hast du mit dem ehemaligen Sex-Pistols-Sänger regelmäßig Musikerkaffeeklatsch veranstaltet?
Wir haben nie zusammen Kaffee getrunken, ich kenne John Lydon eigentlich nur flüchtig. Wir waren Nachbarn in Los Angeles. Ein sehr netter Kerl.
Als du 2009 den Breakthrough Award beim Classic Rock & Roll Of Honour gewonnen hattest, spieltest du alleine vor Jeff Beck, Jimmy Page, Tony Iommi, Slash, Joe Perry, Pete Townshend, Brian May und Billy Gibbons.
Ich habe mir den Song dieses Abends nicht ausgedacht, also habe ich ihn einfach gespielt. Ich sagte mir, okay, die sind nur Zuschauer. Ob ich den Song gut oder schlecht spiele, wird nicht viel ändern. Der Unterschied zwischen einer guten und einer schlechten Version ist ohnehin nicht so groß. Der schönste Moment in der Karriere eines jeden Musikers ist eher, vor normalen Leuten zu spielen, wenn sie einen mögen. Deine prominenten Freunde kommen immer umsonst in deine Konzerte, deine echten Fans kaufen sich ein Ticket. Und das sind die Leute, die du wirklich beeindrucken willst.
Du hast ein paar Mal im Vorprogramm der Rolling Stones gespielt. Wie hast du Mick Jagger und Co. erlebt?
Die Band ist perfekt im Gleichgewicht. Alle diese Jungs sind super nett. Es war eine tolle Gelegenheit für mich. Aber das war eigentlich schon vor langer Zeit.
Die Popband ABBA wird 2022 wieder auf der Bühne stehen. Allerdings nicht leibhaftig, sondern als Avatare. Für die technisch sehr aufwendige Show wurde in London ein eigenes Theater gebaut. Wie denkst du darüber?
Das hat man auch schon mit 2Pac und Ronnie James Dio gemacht. Ich finde, das ist ziemlich seltsam. Ich gehe jetzt in den USA leibhaftig auf Tour. Man darf hier wieder Indoorshows spielen. Ich glaube aber, wir machen uns etwas vor, wenn wir glauben, wir könnten mit den Fingern schnippen und zur Normalität zurückkehren. Übrigens: Wenn ich nächstes Jahr nach Deutschland komme, bringe ich eine völlig neue Setlist mit. Wir haben ja zwei neue Platten im Gepäck.