Es wird wieder passieren
Tom Morello ist Mitbegründer so erfolgreicher Bands wie Rage Against The Machine, Audioslave und Prophets of Rage und spielt regelmäßig mit Bruce Springsteen. Auf seinem Soloalbum sind neben „The Boss“ auch Eddie Vedder von Pearl Jam und Damian Marley zu hören.
Tom Morello: Ich habe zwar zuhause ein Studio, aber während des Lockdowns konnte ich damit nichts anfangen. Dann erzählte Kanye West in einem Interview, er habe den Gesang einiger seiner Hits mit der Voice-Memo-App seines Smartphones aufgenommen. Wenn das gut genug ist für eine Kanye-Platte, dann konnte ich vielleicht auch ein paar Gitarrenriffs mit meinem Mobiltelefon aufnehmen.
Wie haben die Handyaufnahmen denn geklungen?
Tatsächlich großartig und ich dachte, ich kann jetzt alle meine hochwertigen Mikrofone wegwerfen. Ich habe einfach die Riffs für „Highway To Hell“ oder die Songs mit Bring Me The Horizon und Damian Marley in mein Smartphone mit Plug-in-Mikro gerockt. Am Ende sind sie in ihrer reinsten Form aufs Album gekommen. Es war völlig intuitiv.
Was verbindet so unterschiedliche Künstler wie Bruce Springsteen, Eddie Vedder, Mike Posner, Chris Stapleton oder Damian Marley?
Wir wollten neue Arten von Hybriden kreieren. Meine Marshall-Riffs und verrückten Gitarrensoli wurden von diesen Leuten jeweils in eine andere Richtung gebracht. Die künstlerische Vision stammt von mir, aber ich wusste nicht, wohin sich die einzelnen Stücke entwickeln würden.
In deinen neuen Songs steckt viel Hoffnung und eine gute Stimmung.
Musik muss authentisch sein, um zu überzeugen. Während des Lockdowns mit all der Angst und Furcht wollte ich, dass meine Texte und die der Mitwirkenden das widerspiegeln, was wir wirklich fühlten. Dieses Projekt weist in Richtung Hoffnung, aber es gibt auch dunkle Songs wie „The War Inside“ oder „Naraka“ mit dem Rapper Mike Posner. Das ist das Hindi-Wort für Hölle. Zwischen dem Beginn und dem Ende unserer Zusammenarbeit hat Mike den Mount Everest bestiegen. Seinen Rap-Gesang nahm er irgendwo im Himalaya auf, was ziemlich abgefahren ist.
Sama Abdulhadi ist die erste bekannte Techno-DJane aus Palästina. Wie war die Zusammenarbeit mit ihr?
Sama Abdulhadi arbeitete während des Israel-Gaza-Konflikts im Mai an dem Lied „On The Shore Of Eternity“. Als sie es mixte, schlugen Bomben um sie herum ein. „On The Shore Of Eternity“ handelt von dem arabischen Herrscher Saladin, Sultan von Ägypten und Syrien. Er eroberte 1187 Jerusalem, die Stadt „am Ufer der Ewigkeit“.
Und AC/DCs Klassiker „Highway To Hell“?
Bruce Springsteen, Eddie Vedder und ich haben eine gemeinsame Geschichte, was diesen Song angeht. Als ich 2014 mit der E Street Band auf Tour war, haben wir im australischen Perth gespielt, wo der legendäre AC/DC-Sänger Bon Scott lebte und beerdigt wurde. Dort gibt es einen buchstäblichen „Highway To Hell“, also eine so benannte Straßenstrecke. Ich habe Bon Scotts Grab besucht, um ihm Respekt zu zollen. Zurück im Hotel sprach ich mit Bruce über eine Möglichkeit, wie sich die Welten der E Street Band und AC/DCs überlappen könnten … Dann fingen wir an, „Highway To Hell” bei unseren Soundchecks zu proben, bis wir schließlich in Melbourne in diesem gigantischen Fußballstadion spielen sollten. Zufällig war auch Eddie Vedder in der Stadt und im Publikum. Ich sagte zu Bruce: Wie wäre es, wenn wir die Show heute Abend mit Eddie Vedder und der inoffiziellen australischen Nationalhymne „Highway To Hell“ eröffneten? Gesagt, getan. Die Leute haben fast ihren Verstand verloren! Einer der verrücktesten Momente in der Geschichte des Rock and Roll.
Gibt es Überlegungen einer Supergroup Morello, Springsteen & Vedder?
Hahaha! Nein, wir haben unseren Frieden mit „Highway To Hell“ geschlossen. Das soll es für jetzt sein. Aber was für ein Moment war das auf der Bühne! Und auch auf diese Aufnahme bin ich sehr stolz.
Wie macht man einen genialen Song noch besser?
AC/DC gehört zu meinen Lieblingsbands, wobei „Highway To Hell“ einer der größten Rock´n`Roll-Songs überhaupt ist. Und unsere Version kommt mit zwei der größten Rocksänger aller Zeiten daher, Eddie Vedder und Bruce Springsteen. Und ich spiele dazu ein Gitarrensolo. Dieser Song hat uns allen an dem Abend in Melbourne so viel Spaß gemacht. Ich will ihn jetzt nicht übertreffen, sondern ihm bloß Tribut zollen.
Hat „Highway To Hell” für politische Songwriter eine tiefere Bedeutung?
Es ist ein Lied der Befreiung und des Trotzes. Und einer der eingängigsten Rocksongs aller Zeiten. AC/DC war nie eine besonders politische Band, sondern immer eine rebellische Truppe. Und „Highway To Hell“ ist einer der rebellischsten Songs überhaupt.
Gegen wen oder was rebellierst du?
Rassismus gegen Einwanderer, Zerstörung der Umwelt, unsaubere Politik der Weltmächte – es gibt viel, wogegen man rebellieren kann. Die Hauptaussage meiner Musik ist über 22 Alben hinweg gleich geblieben. Sie lautet: Die Welt wird sich nicht von selbst verändern; es liegt an dir. Und die Menschen, die die Welt auf fortschrittliche, radikale oder sogar revolutionäre Weise verändert haben, sind nicht anders als diejenigen, die dieses Interview gerade jetzt lesen. Niemand hat mehr Mut, Macht, Geld und Einfluss als ganz normale Menschen, die an ihrem Ort aufstehen und für mehr Gerechtigkeit und Frieden kämpfen.
Kann Kunst die Dinge wirklich verändern?
Kunst und Musik haben mich verändert. Alles, was ich als Musiker oder Aktivist erreicht habe, habe ich den Bands Public Enemy und The Clash zu verdanken. Sie haben mich wissen lassen, dass die Kunst ein Weg sein kann, um der Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen … Dabei ist nichts vielfältiger, als dieses Album: Heavy Metal, alternativer Düsterrock, Country & Western, Rock´n`Roll, Reggae, kalifornischer Strandsound, EBM, Punk – das ist die schöne Legierung des „Atlas Underground“-Projekts. Ich liebe es, herauszufinden, wie ich mit Bruce Springsteen und Eddie Vedder oder mit Bring Me The Horizon klinge. Der rote Faden ist meine Gitarre, aufgenommen mit meinem Handy. Ich wollte eine zeitgenössische globale Platte machen, befreiend, rockig, ehrlich und authentisch.
Auf dem Cover ein Elefant mit Schmetterlingsflügeln – was will das ausdrücken?
Für mich spricht daraus sowohl die Schwere der Musik als auch ihre Schönheit. Es ist nicht einfach nur ein lautes Rock´n`Roll-Album, sondern eines, das mehrere Dimensionen hat. Die E-Gitarre ist das beste Instrument, das die Menschheit je erfunden hat. Die treibende Kraft in all diesen Songs. Nichts gegen Blues-Riffs auf einer Les Paul, die klingen toll, aber ich versuche lieber, mich mit jeder Platte weiterzuentwickeln. Rock´n`Roll kann viele Gesichter haben. The Clash waren eine Punkband, die 15 unterschiedliche Musikrichtungen spielte.
Kann man von jungen DJanes wie Sama Abdulhadi etwas lernen?
Aber sicher. Als wir uns „On The Shore Of Eternity” erarbeiteten, habe ich definitiv etwas von Sama gelernt. Ich hatte viel über sie gelesen, weshalb ich ihr ein paar Heavy-Metal-Riffs à la Black Sabbath und Blue Oyster Cult schickte, die ich dauernd schreibe. Sie antwortete: Das sind tolle Ideen, Tom, aber ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Okay, sagte ich, warum schickst du mir nicht einfach etwas zu? Daraufhin bekam ich von ihr dieses achteinhalbminütige mittelöstliche Trance-Stück. Auf solche Musik wäre ich niemals von allein gekommen, aber ich habe sie einfach weiterentwickelt, indem ich mit geschlossenen Augen ohne jegliche Vorbereitung dazu gespielt habe. Und dann noch einmal. So erhielt das Album eine spirituelle Komponente. Dieser Song hat mich an einen Ort gebracht, an dem ich als Gitarrist noch nie gewesen bin.
Wie war es, mit Johnny Cash den „Redemption Song“ einzuspielen?
Johnny Cash, Joe Strummer und Bob Marley sind meine drei Lieblingskünstler. An einem Song mitzuwirken, an dem auch Joe und Johnny beteiligt sind, war für mich unglaublich. Rick Rubin rief mich eines Nachmittags zuhause an und erzählt mir, dass er gerade mit Joe und Johnny am „Redemption Song“ von Bob Marley arbeite und ob ich nicht Lust hätte, vorbeizukommen. Das hatte ich. Was für eine Ehre!
Du gehörst seit 2018 zum Nominierungsausschuss der Rock And Hall Of Fame. Werden dort in Zukunft mehr mutige Künstler aufgenommen?
Ich hoffe das, Mann! Es ist immer ein Kampf. Einer der Gründe, warum man mich in das Komitee für die Nominierung aufgenommen hat, ist, dass ich mich so sehr über die Institution Rock and Roll Hall of Fame beschwert habe. Seit ich da selber mitmache, wurden viel mehr Rockkünstler wie Rush, Kiss, Steve Ray Vaughn oder Randy Rhoads aufgenommen. Es ist ein Prozess, bei dem viele mitreden. Ich bin glücklich, dass ich etwas dazu beitragen kann.
Werden Rage Against The Machine wieder in Deutschland auftreten?
Es wird wieder passieren.