Das Rock in Rautheim Open Air ist jetzt seit einer guten Woche vorbei, die Bühne abgebaut und das Gelände wieder dem Alltag übergeben. Ach, was war das wieder für ein herzerwärmendes Festival. Seht mir dieses schwärmen bitte ein wenig nach aber wenn man selbst damit zu tun hat die Umgebung im Auge zu haben um mögliche Hindernisse und fehlende Barrierefreiheit für Angehörige zu erkennen, wird man bei diesem Thema auch etwas aufmerksamer. Nicht nur was das Bewegen in der Öffentlichkeit mit Rollstuhl oder Rollator angeht, sondern im Zuge dessen auch, was Inklusion im allgemeinen angeht. Inklusion bedeutet eben nicht nur daran zu denken, dass Rollstuhlfahrer es einfacher im Alltag in der Öffentlichkeit haben, sondern vor allem die Teilhabe am ‘normalen’ Alltag für ALLE Menschen, die auf ein wenig, oder mehr Hilfe angewiesen sind. Und das ist leider in unserer Gesellschaft immer noch ein Thema, das leider viel zu stiefmütterlich behandelt wird. Aber die Lebenshilfe Braunschweig geht mit ihrem Rock und Metal Open Air einen konsequenten Weg. Und das sehr erfolgreich, ist doch die Besucherzahl im Vergleich zum Vorjahr um 1000 gewachsen und hat sich damit nahezu verdoppelt. Organisator Marco Spiller und das Team das ihm dabei den Rücken stärkt und ihn unterstützt (“Ohne Euch wäre das alles nicht möglich” Zitat Marco) leistet hier wirklich großartiges.
Vom Aufbau des Festival Areals inkl. der – im Vergleich zum Vorjahr – gigantischen Bühne, dem Herstellen der Merchandise Artikel, dem Verkauf der Speisen und Getränke usw: alles wird hier Hand in Hand mit und von Menschen mit Behinderungen gestemmt. Und das tolle: es läuft alles reibungslos. Na gut – so reibungslos, wie eine Festivalorganisation halt laufen kann. Hier und da gibt es immer mal Kleinigkeiten, die aber im Ablauf kaum auffallen. Und das merkt man auch den Besuchern an. Selten habe ich auf einem Festival weniger Gemecker und Gezeter wahrgenommen, was Wartezeiten an den Versorgungsständen angeht, als hier. Das war 2023 schon so und fiel dieses Jahr bei mehr Besuchern noch mehr auf.
Und auch die Bands waren wieder sichtlich angetan von diesem Event. Lisa Marie Watz, Sängerin der Band APRIL ART, ließ sich dann auch zu einem von Herzen kommenden “Ihr geilen Schweine” hin reißen, was ihr wirklich niemand krumm nahm, sondern als Kompliment verstanden wurde, sprudelte doch bei jeder einzelnen Band das Publikum vor der Bühne aber auch auf dem ganzen Gelände sichtlich über vor Spaß und Freude.
Normalerweise würde ich jetzt über jede einzelne Band einen kleinen Abriss schreiben, was den Text sehr lang machen würde. Ich möchte an dieser Stelle stellvertretend für alle Bands, die dieses Festival zu einem einzigartigen Vergnügen gemacht haben, zwei Bands herauspicken, die mich sowohl musikalisch als auch menschlich unfassbar beeindruckt haben. Zum einen ist das die Hamburger Band FHEELS.
Einfach zu beschreiben ist deren Stil nicht. Wenn man es sich einfach machen will dann sollte man versuchen sich ein Potpourri aus Melodien und Breaks von SOUNDGARDEN, der Band LIVE zu ‘Throwing Copper” – Zeiten und Textlicher Relevanz und Tiefe eines Charles Buckowski vorzustellen. Und selbst dann kommt man nicht annähernd an die enorme gefühlte Tragweite heran, die die Band um Sänger und Gitarrist Felix Brückner hier auf die Bühne zaubert. Der Mann in seinem LED verzierten Rollstuhl (ein Auftritt in der späten Dämmerung wäre hier optisch das Non Plus Ultra gewesen) hat – wie die restliche Band auch – das Publikum direkt in der Hand. Rund um mich entdeckt man immer mehr Besucher, die sichtlich tief in dieser blues betonten Musik abtauchen, sich darin treiben- und sich gefangen nehmen lassen von der ersten Show des Freitags.
Was an diesem Abend noch folgt sind grandiose Auftritte von: QUASIMODO, die unter anderem auch Daniela Karrer Waletzky als Gastsängerin auf der Bühne hatten die letztes Jahr mit ihrer Band HEADSHOT an selber Stelle für Headbanging der feinsten Sorte sorgte.
APRIL ART, die nur so vor Energie sprühen, dass das Publikum quasi vom ersten Ton an direkt elektrisiert war. Was für eine tolle Kombo !!!
Sascha Paeth’s MASTERS OF CEREMONY spielten an diesem Abend ein Set aus Saschas früheren Band HEAVENS GATE, die in der Metal Gemeinde einen Legendenstatus innehat, wie kaum eine andere deutsche Heavy Metal Band. Leider war sich der ursprünglich angedachte Thomas Rettke – seines zeichens Ursänger von HEAVENS GATE – wohl zu schade für ein paar Songs um seinen Fans einen tollen Memory Day zu verschaffen. Aber was solls, wer nicht will hat schon und so übernimmt kurzerhand (und das ist wörtlich gemeint) MASTER OF CEREMONY Sängerin Adrienne Cowan den Part. Und was soll man sagen? Zum Glück, denn durch ihre Stimme verleiht sie den Songs eine eigene Note und schießt die Stücke gekonnt und einzigartig durch die Boxen. Absolut Top.
Und dann war da noch RAGE, die mit dem LINGUA MORTIS Projekt – heute dargeboten vom Orchester der TU Braunschweig und der Leitung von dem One and only Headbanging Maestro Pepe Herrero – ein Best of Set auf das Publikum abfeuern. RAGE liefert wieder mal das, was man von RAGE erwartet: Power, Power und nochmals Power. Was an diesem Tag bis zum letzten Ton der Running Order auffällt ist der grandiose Sound. Hier können sich größere Festivals gerne mal ne Scheibe abschneiden.
Der Samstag macht dann da weiter , wo der Freitag endete: mit guten Freunden auf einem der besten Metal Festival des Landes. Mit einer 17 köpfigen Meute, dem “Metal Minions Camp” (Rockharzer wissen Bescheid) genießen wir jeden Moment auf dem Gelände. Bei bestem Wetter beginnt die erste Band des Tages: METZER58. Und damit sind wir bei der zweiten Band, die ich heraus picken möchte. Diese Band ist Punk. Sie lebt Punk und sie spielt Punk. Und wenn ich Punk sage, dann meine ich Punk und nicht das, was die Mainstream-Radiowelt einem als Punk oder Punkrock verkaufen will. METZER 58 sind: Bombe, Matze, J.C., Lennart und Ecki. Die Band ist übrigens nach 2022 wieder mit am Start. Ich bin beeindruckt von dieser direkten, ungebügelten Spielweise ohne Anbiederung an die großen vermeintlichen Vorreiter. Hier sind eher die Straighten und Ungewöhnlichen Punkbands rauszuhören. DRITTE WAHL, SLIME, RANTANPLAN oder auch LIEDFETT. Hier passte einfach alles zusammen und auch nach dem Auftritt haben wir mit Bombe und anderen Mitgliedern immer wieder schöne, lustige und auch gesprächige Momente, die man nicht missen möchte.
Und auch hier folgten weitere tolle Auftritte:
FROZEN CROWN aus Italien mischten die Menge mit ihrem Powermetal gekonnt auf und sorgten vom Fleck weg für Headbanging, gereckte Fäuste und jubelnde Fans. Die Band um Sängerin Giada “Jade” Etro und Gitarren Hexer Federico Mondelli begeistert durchs gesamte Set hinweg alle Anwesenden..
Anschließend dürfen wir nochmal Sascha Paeth’s MASTER OF CEREMONY genießen. Diesmal mit dem Set der eigenen Stücke. Wie zu erwarten war, ist Adrienne heute noch besser bei Stimme, liegen ihr die eigenen Songs verständlicherweise doch näher als die von HEAVENS GATE vom Vortag.
Eigentlich sollten anschließend RIOT V ihren Slot spielen. Leider erkrankte (Ersatz-) Drummer Jason kurzzeitig und die Band, die derzeit mit TAILGUNNER auf Tour sind, mussten ihren Auftritt canceln. Dafür sprangen kurzentschlossen die Tourpartner TAILGUNNER ein und spielten das Publikum quasi an die Wand. Offenstehende Münder und ein Run auf den Merchstand beweisen die Qualität der Band, die das Publikum gekonnt vereinnahmt hatte. Kleine Info am Rande: Dem Drummer geht es inzwischen wieder gut und die Tour konnte nach einem geänderten Ablauf am Folgetag im Hamburger Bambi Galore, wie geplant mit dem schon durch Jason ersetzten Original Drummer Frank weitergeführt werden.
Die BROTHERS OF METAL beehrten das Rock in Rautheim auch zum wiederholten Male und auch sie spielten wie erwartet mit enormer Freude und bester Laune. Das Publikum quittiert dies mit Textsicherheit und frenetischem Jubel nach jedem Song.
Zum Abschluss waren DIRKSCHNEIDER dann der abschließende Garant für ein durch und durch zufriedenes Publikum. Allerdings durften zuvor noch Organisator Marco Spiller und sein Team auf die Bühne, um sich bei allen Gästen und Helfern zu bedanken. Man merkte Marco an, dass es ihn unheimlich beeindruckte, was dieses Jahr erreicht wurde und die Dankbarkeit gegenüber den Gästen, aber auch den Helfern und Mitgliedern hätte nicht ehrlicher und ehrfürchtig sein können.
Deutschlands größtes Inklusions Rock – und Metal Festival hat wieder einmal bewiesen, dass niemand Zweifel oder Berührungsangst mit dem Thema Inklusion und den Betroffenen haben muss. Wenn man dem Ganzen mit offenen Augen und Armen entgegengeht, erlebt man Momente, die positiv Lebensverändernd sein können, wie mir viele Gäste im persönlichen Gespräch versicherten. Dem kann ich mich nur zu 100% anschließen und freue mich jetzt schon auf das nächste Jahr. Ein riesiges DANKE geht auch von mir stellvertretend an alle Beteiligten an Marco Spiller und Jonas Scheiffele: Danke, dass ihr sowas wichtiges auf die Beine stellt und nicht müde werdet, dies Jahr für Jahr wieder zu machen. Danke, Danke, Danke.
Eine kleine Auswahl von Fotos des Wochenendes findet ihr hier.
Ein Dank geht auch an Niclas Jörges für das tolle Beitragsbild ganz am Anfang dieses Berichts.